Als spezialisierter Fachanwalt für IT-Recht sehe ich mich in letzter Zeit vermehrt mit einem Phänomen konfrontiert, das nicht nur frustrierend, sondern auch rechtlich bedenklich ist: Ghost Jobs. In diesem Blogbeitrag möchte ich Betroffenen, die Opfer solcher Scheinstellenangebote geworden sind, einen umfassenden Überblick über die rechtliche Situation geben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.
Inhaltsverzeichnis
Was sind Ghost Jobs?
Ghost Jobs, auch als Fake-Stellenanzeigen bekannt, sind Jobangebote, die von Unternehmen ausgeschrieben werden, obwohl die Stelle in Wirklichkeit nicht besetzt werden soll. Diese Praxis hat in den letzten Jahren stark zugenommen und stellt Arbeitssuchende vor erhebliche Herausforderungen.
Erfahrungsbericht Ghost Jobs mit Kreditbetrug
Eine Betroffene schildert ihre leidvolle Erfahrungen wie folgt:
Ich habe einen Minijob als Qualitätsprüfer bei der Firma Metatoken Germany UG zum 01.09. angenommen und erhielt auch einen Arbeitsvertrag. Dort musste ich Apps testen und bewerten. Eine Frau Wagner wies mich über WhatsApp und Mail an, Apps zu testen, darunter eine Web ID-App für die TargobankDie Targobank ist ein deutsches Kreditinstitut mit Sitz in D... Mehr über check24. Dabei sollte ich mich mit meinem Ausweis identifizieren, aber mit vorgegebener Mailadresse und Handynummer für eine angebliche „Mitarbeiteranalyse“. Zum Schluss sollte in der App eine Vertragsunterzeichnung stehen, die sollte ich aber nicht unterschreiben, sondern die App dann vorher beenden. Daher war es für mich auch plausibel, dass ich nur diesen Mitarbeiter getestet habe und keinen Vertrag abgeschlossen habe.
Am 18.09. erhielt ich überraschend eine Kreditbestätigung der Targobank über 25.000 Euro. In meiner Schufa entdeckte ich 16 weitere Kreditanfragen verschiedener Banken, die über Check24 gestellt wurden, die am 27.08. starteten – nachdem ich meinen unterschriebenen Arbeitsvertrag, Personalbogen und Ausweiskopie an Frau Wagner geschickt hatte. Am 19.09. rief ich gleich die Targobank an, die bestätigte, dass der Kredit bereits ausgezahlt wurde, da ich mich über Web ID identifiziert hatte. Dies gilt dann wohl auch ohne Unterschrift. Sie wollten es an die Betrugsabteilung weiterleiten. Sicherheitshalber habe ich es dann am 19.09. noch einmal schriftlich per Mail der Targobank mitgeteilt. Gestern den 04.10. erhielt ich darauf von der Targobank eine Antwort auf meine Reklamation. Ich sollte den Sachverhalt genau schildern, warum ich mich über die Web ID identifiziert habe. Auch haben Sie mir jetzt alle Unterlagen zukommen lassen. Da habe ich festgestellt, dass falsche Angaben, Einkommensnachweise und Bankverbindung angegeben wurden. Auch habe ich vorher nichts von der Targobank erhalten, damit ich diesen Kredit hätte widerrufen können. Ich habe nie den Kreditbetrag erhalten und soll jetzt die Raten ab 01.11. zahlen. Bei meinem Einkommen hätte ich den Kredit auch nicht aufnehmen können. Auch habe ich die Bank, die in den Kreditunterlagen stand, für die Auszahlung des Kredites und als mein Konto ausgegeben wurde, kontaktiert, diese geben mir aber keine Auskunft.
Warum werden Ghost Jobs geschaltet?
Die Gründe für das Schalten von Ghost Jobs sind vielfältig und reichen von Nachlässigkeit bis hin zu strategischen Überlegungen:
- Vergessene Löschung: Manche Unternehmen versäumen es schlichtweg, eine Stellenanzeige nach Besetzung der Position zu entfernen.
- Budgetkürzungen: Die ausgeschriebene Stelle wird während des Bewerbungsprozesses gestrichen.
- Marktanalyse: Unternehmen wollen einen Überblick über verfügbare Fachkräfte gewinnen.
- Aufbau eines Bewerberpools: Firmen sammeln Bewerbungen für zukünftige Vakanzen.
- Interne Besetzung: Die Stelle ist bereits intern vergeben, muss aber aus formalen Gründen ausgeschrieben werden.
- Demonstration von Wachstum: Unternehmen wollen wirtschaftliche Stärke signalisieren.
- Druck auf bestehende Mitarbeiter: In seltenen Fällen sollen aktuelle Angestellte durch scheinbare Konkurrenz motiviert werden.
Rechtliche Einordnung von Ghost Jobs
Aus juristischer Sicht bewegen sich Ghost Jobs in einer Grauzone. Während es kein spezifisches Gesetz gibt, das Fake-Stellenanzeigen explizit verbietet, können sie unter bestimmten Umständen gegen geltendes Recht verstoßen:
1. Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Wenn ein Unternehmen eine Stelle ausschreibt, ohne die ernsthafte Absicht zu haben, diese zu besetzen, könnte dies als Diskriminierung im Sinne des AGG gewertet werden. Besonders problematisch wird es, wenn bestimmte Gruppen (z.B. aufgrund des Alters oder Geschlechts) systematisch benachteiligt werden.
2. Verletzung vorvertraglicher Pflichten
Nach § 311 Abs. 2 BGB entstehen durch die Anbahnung eines Vertragsverhältnisses – in diesem Fall eines Arbeitsvertrags – vorvertragliche Pflichten. Dazu gehört auch die Pflicht zur Information und Rücksichtnahme. Wenn ein Unternehmen wissentlich eine nicht existente Stelle ausschreibt, verletzt es diese Pflichten.
3. Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
Ghost Jobs könnten als irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 UWG gewertet werden. Wenn ein Unternehmen durch Fake-Stellenanzeigen den Eindruck erweckt, es sei auf Wachstumskurs, könnte dies Mitbewerber und potenzielle Geschäftspartner in die Irre führen.
4. Datenschutzrechtliche Bedenken
Die Erhebung und Speicherung von Bewerberdaten für nicht existente Stellen könnte gegen die DSGVO verstoßen, insbesondere wenn die Daten ohne ausreichende Rechtsgrundlage verarbeitet oder länger als nötig gespeichert werden.
Wie erkennt man Ghost Jobs?
Als Anwalt rate ich Arbeitssuchenden zur Vorsicht und empfehle, auf folgende Anzeichen zu achten:
- Übermäßig lange Veröffentlichungsdauer der Anzeige
- Vage oder unspezifische Stellenbeschreibungen
- Fehlende Angaben zu Bewerbungsfristen oder Einstellungsterminen
- Wiederholtes Neuaufsetzen identischer Stellenanzeigen
- Ungewöhnlich hohe Anzahl offener Positionen für die Unternehmensgröße
- Fehlende Reaktion auf Bewerbungen oder standardisierte Absagen ohne persönlichen Bezug
- Widersprüchliche Informationen in der Stellenanzeige
Handlungsmöglichkeiten für Betroffene
Wenn Sie den Verdacht haben, Opfer eines Ghost Jobs geworden zu sein, stehen Ihnen verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung:
1. Direkter Kontakt zum Unternehmen
Versuchen Sie zunächst, mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten. Fragen Sie höflich aber bestimmt nach dem Status Ihrer Bewerbung und der ausgeschriebenen Stelle. Dokumentieren Sie diese Kommunikation sorgfältig.
2. Beschwerde bei Jobbörsen und Plattformen
Informieren Sie die Plattform, auf der Sie die Stellenanzeige gefunden haben. Viele Jobportale haben Richtlinien gegen Fake-Anzeigen und können entsprechende Maßnahmen ergreifen.
3. Meldung an die Bundesagentur für Arbeit
Die Bundesagentur für Arbeit nimmt Hinweise auf fragwürdige Stellenanzeigen entgegen und kann diese prüfen.
4. Rechtliche Schritte
In schwerwiegenden Fällen, insbesondere wenn Ihnen durch die Bewerbung auf einen Ghost Job ein nachweisbarer Schaden entstanden ist, können rechtliche Schritte in Betracht gezogen werden. Dies könnte beinhalten:
- Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten
- Anzeige wegen Betrugs, wenn das Unternehmen vorsätzlich gehandelt hat
- Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzbehörde wegen möglicher Verstöße gegen die DSGVO
5. Öffentlichkeitsarbeit
In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, die Erfahrungen mit Ghost Jobs öffentlich zu machen, beispielsweise durch BewertungenBewertungen sind Rückmeldungen oder Beurteilungen von Produ... Mehr auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen oder in sozialen Medien. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, um nicht selbst in rechtliche Schwierigkeiten zu geraten.
Präventive Maßnahmen
Um sich vor Ghost Jobs zu schützen, empfehle ich folgende Vorsichtsmaßnahmen:
- Gründliche Recherche: Informieren Sie sich umfassend über das Unternehmen und die ausgeschriebene Position.
- Netzwerke nutzen: Versuchen Sie, über professionelle Netzwerke wie LinkedIn oder XING Kontakt zu Mitarbeitern des Unternehmens aufzunehmen.
- Direkte Nachfrage: Zögern Sie nicht, beim Unternehmen direkt nach dem aktuellen Status der Stelle zu fragen.
- Zeitliche Begrenzung: Setzen Sie sich selbst eine Frist, wie lange Sie auf eine Rückmeldung warten, bevor Sie die Bewerbung als erfolglos betrachten.
- Dokumentation: Bewahren Sie alle Unterlagen und Kommunikation im Zusammenhang mit Ihrer Bewerbung sorgfältig auf.
Fazit und Ausblick
Ghost Jobs stellen eine ernsthafte Herausforderung für den Arbeitsmarkt dar. Sie verschwenden nicht nur wertvolle Zeit und Ressourcen von Arbeitssuchenden, sondern untergraben auch das Vertrauen in den Rekrutierungsprozess. Als Fachanwalt für IT-Recht sehe ich hier dringenden Handlungsbedarf:
- Gesetzliche Regulierung: Der Gesetzgeber sollte klare Regelungen schaffen, die Ghost Jobs eindeutig als rechtswidrig definieren und entsprechende Sanktionen vorsehen.
- Verstärkte Kontrollen: Jobportale und die Bundesagentur für Arbeit sollten ihre Überwachungsmechanismen verbessern, um Fake-Stellenanzeigen frühzeitig zu erkennen und zu entfernen.
- Sensibilisierung: Arbeitgeber müssen für die rechtlichen und ethischen Implikationen von Ghost Jobs sensibilisiert werden.
- Transparenz: Unternehmen sollten verpflichtet werden, den Status ihrer Stellenanzeigen regelmäßig zu aktualisieren und bei Nichtbesetzung die Gründe offenzulegen.
- Rechtsprechung: Es bedarf richtungsweisender Gerichtsurteile, um die rechtliche Einordnung von Ghost Jobs zu konkretisieren und Präzedenzfälle zu schaffen.
Als Betroffener eines Ghost Jobs ist es wichtig, sich seiner Rechte bewusst zu sein und gegebenenfalls rechtliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Nur durch das aktive Vorgehen gegen diese Praxis können wir langfristig zu einem faireren und transparenteren Arbeitsmarkt beitragen.
Sollten Sie weitere Fragen zum Thema Ghost Jobs haben oder rechtliche Unterstützung benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Gemeinsam können wir gegen diese unseriöse Praxis vorgehen und für einen ethischeren Umgang im Bewerbungsprozess sorgen.
