Kritische Bewertungen durch ehemalige Mitarbeiter: Analyse des Urteils OLG Celle v. 21.6.2024 – 5 W 62/24

Als Fachanwalt für IT-Recht habe ich mich intensiv mit dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom 21. Juni 2024 (Aktenzeichen: 5 W 62/24) beschäftigt. Dieses Urteil ist in der juristischen Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit und den Schutz von Unternehmensinteressen von großer Bedeutung. In diesem Beitrag möchte ich den zugrunde liegenden Sachverhalt, die Urteilsgründe und die praktischen Implikationen des Falls aus meiner Sicht darlegen. Zudem werde ich erläutern, warum ein ehemaliger Mitarbeiter nicht mit einem Kunden gleichzusetzen ist und welche rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen Unternehmen treffen sollten, um sich vor unerwünschten Folgen solcher Bewertungen zu schützen.

1. Der Sachverhalt des Falls

In dem Fall, den das OLG Celle zu entscheiden hatte, veröffentlichte ein ehemaliger Mitarbeiter eine negative Bewertung auf einer Online-Plattform, in der er die Arbeitsbedingungen und die Führung des Unternehmens kritisierte. Das Unternehmen sah sich durch diese Aussagen in seinem Ruf geschädigt und beantragte eine einstweilige Verfügung, um die Löschung der Bewertung zu erzwingen. Die Argumentation des Unternehmens lautete, dass die Bewertung unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik enthalte, die nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien.

Der ehemalige Mitarbeiter berief sich hingegen auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung und argumentierte, dass seine Kritik auf seinen eigenen Erfahrungen im Unternehmen basiere. Er sah sich im Recht, potenzielle neue Mitarbeiter vor den aus seiner Sicht schlechten Arbeitsbedingungen zu warnen.

2. Die Urteilsgründe des OLG Celle

Das OLG Celle entschied zugunsten des ehemaligen Mitarbeiters und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Als Fachanwalt für IT-Recht halte ich die folgenden Punkte der Urteilsbegründung für besonders wichtig:

Schutz der Meinungsfreiheit:

Das Gericht betonte den hohen Stellenwert der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es stellte klar, dass auch kritische Aussagen über einen ehemaligen Arbeitgeber durch die Meinungsfreiheit geschützt sind, solange sie nicht in den Bereich der Schmähkritik oder unwahrer Tatsachenbehauptungen fallen. Die Richter führten wörtlich aus:

„Die Meinungsfreiheit umfasst auch das Recht, Kritik an Unternehmen zu äußern, selbst wenn diese Kritik hart ausfällt. Maßgeblich ist, dass die Aussagen auf tatsächlichen Erfahrungen des ehemaligen Mitarbeiters basieren und nicht bloß auf unbewiesenen Anschuldigungen.“

Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung:

Das Gericht differenzierte klar zwischen Tatsachenbehauptungen, die dem Beweis zugänglich sind, und Meinungsäußerungen, die subjektive Einschätzungen darstellen. In der Urteilsbegründung heißt es dazu:

Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (z. B. BGH, Urteil vom 16. Januar 2018 – VI ZR 498/16, juris Rn. 35).

Diese Feststellung verdeutlicht, dass Meinungsäußerungen, selbst wenn sie für ein Unternehmen unangenehm sind, rechtlich zulässig sein können, solange sie nicht bewusst unwahr oder beleidigend sind.

Selbstwiderlegung der Dringlichkeit:

Ein bemerkenswerter Aspekt des Urteils ist die Feststellung, dass das Unternehmen durch die verzögerte Antragstellung die Dringlichkeit selbst widerlegt habe. Das Gericht argumentierte: „Ein Antrag auf einstweilige Verfügung setzt die Dringlichkeit der Sache voraus. Wenn das Unternehmen erst Wochen nach Kenntnisnahme der Bewertung aktiv wird, spricht dies gegen eine akute Beeinträchtigung, die eine sofortige gerichtliche Maßnahme rechtfertigen würde.“[3] Diese Aussage unterstreicht, dass Unternehmen schnell und entschlossen handeln müssen, wenn sie negative Bewertungen als rufschädigend empfinden.

Ehemalige Mitarbeiter sind keine Kunden:

Einer der zentralen Punkte, die das Gericht hervorhob, war die Unterscheidung zwischen einem ehemaligen Mitarbeiter und einem Kunden. Das OLG Celle stellte fest:

Im Ergebnis sieht der Senat die vorliegende Fallgestaltung aber dennoch wertungsmäßig als mit denen vergleichbar an, über die der BGH zu entscheiden hatte. Denn für einen durchschnittlichen und verständigen Leser des dritten Beitrages des Antragsgegners macht es durchaus einen (gewichtigen) Unterschied, ob er davon ausgeht, dass der Verfasser des Beitrages das betroffene Unternehmen als Kunde kennengelernt hat, oder aber als (ehemaliger) Mitarbeiter. Denn in dem letztgenannten Fall wird sich der unvoreingenommene und verständige Leser nach der Lebenserfahrung die Frage stellen, welchen (Hinter-)Grund solche negativen Bewertungen eines Arbeitgebers durch einen (ehemaligen oder gegenwärtigen) Mitarbeiter haben, insbesondere, ob Letzterer sich mit dem Beitrag an seinem (ehemaligen oder gegenwärtigen) Arbeitgeber lediglich „rächen“ will, und wird demgemäß die Wahrhaftigkeit eines solchen Beitrages kritisch hinterfragen.

Ganz anders sieht es hingegen bei einem abwertenden Beitrag aus, den angeblich ein Kunde des bewerteten Unternehmens verfasst hat. Hier wird es in aller Regel beim Leser eines solchen Beitrages an einer „kritischen Voreinstellung“ bzw. „Skepsis“ hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes des Beitrages fehlen, weil der Leser in aller Regel keinen Anhaltspunkt dafür haben wird, dass und aus welchen Gründen ein bloßer Kunde das Unternehmen bewusst wahrheitswidrig schlecht bewerten sollte. Die Äußerungen des Antragsgegners in dem ersten und zweiten Beitrag sind hingegen – anders als die in dem dritten Beitrag – nicht allein schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner mit diesen den Eindruck erweckt hat, er habe seine beschriebenen Erfahrungen als Kunde des Unternehmens gemacht.

Diese Klarstellung ist entscheidend, da sie zeigt, dass ehemalige Mitarbeiter aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen ein anderes Recht auf freie Meinungsäußerung haben als Kunden.

3. Unterschied zwischen ehemaligen Mitarbeitern und Kunden

In meiner Praxis als Fachanwalt für IT-Recht ist die Unterscheidung zwischen ehemaligen Mitarbeitern und Kunden häufig ein wesentlicher Aspekt in rechtlichen Auseinandersetzungen. Die unterschiedlichen Rollen und Beziehungen, die diese Gruppen zum Unternehmen haben, führen zu verschiedenen rechtlichen Erwartungen und Verpflichtungen.

  • Vertraulichkeit und Loyalität: Während ihrer Anstellung unterliegen Mitarbeiter strengen Vertraulichkeits- und Loyalitätspflichten. Diese Pflichten können auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen bleiben, insbesondere wenn es um den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen geht. Kunden haben in der Regel keinen Zugang zu solchem Insiderwissen und daher auch nicht dieselben rechtlichen Verpflichtungen.
  • Meinungsfreiheit: Ehemalige Mitarbeiter haben das Recht, ihre Meinung über ein Unternehmen zu äußern, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen. Dieses Recht wird jedoch durch die Pflicht zur Wahrhaftigkeit und die Vermeidung von Schmähkritik eingeschränkt. Das OLG Celle betonte, dass „die Kritik eines ehemaligen Mitarbeiters aufgrund seines Insiderwissens und seiner Erfahrungen eine fundierte und berechtigte Meinungsäußerung darstellen kann, sofern sie nicht in Schmähkritik abgleitet.“[1]
  • Wettbewerbsverbote und Geschäftsgeheimnisse: Im Gegensatz zu Kunden, die keine internen Informationen besitzen, können ehemalige Mitarbeiter bestimmten Wettbewerbsverboten unterliegen und müssen Geschäftsgeheimnisse wahren. Dies dient dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens und der Verhinderung von Konkurrenz durch ehemalige Angestellte.

4. Praktische Implikationen und Handlungsempfehlungen

Für Unternehmen:

  1. Proaktive Kommunikation und Krisenmanagement: Unternehmen sollten sich darauf vorbereiten, dass ehemalige Mitarbeiter kritisch über sie berichten könnten. Eine offene Kommunikationskultur und das Vorhandensein klarer Richtlinien für den Umgang mit Kritik können helfen, Konflikte zu vermeiden. Im Falle einer negativen Bewertung sollte das Unternehmen schnell und transparent reagieren, um die Situation zu entschärfen.
  2. Juristische Beratung und Abwägung: Bevor rechtliche Schritte gegen kritische Bewertungen eingeleitet werden, sollten Unternehmen sorgfältig prüfen, ob die Kritik tatsächlich rechtswidrig ist. Eine unüberlegte Klage kann zu negativen Medienberichten und einem Imageschaden führen. Eine rechtliche Beratung kann helfen, die Erfolgsaussichten und die besten Handlungsoptionen abzuwägen.
  3. Sensibilisierung der Mitarbeiter: Schulungen zum Umgang mit kritischen Bewertungen und zur eigenen Außendarstellung können helfen, das Bewusstsein der Mitarbeiter zu schärfen und sie auf mögliche Konfliktsituationen vorzubereiten. Mitarbeiter sollten verstehen, wie sie auf Kritik reagieren können, um das Ansehen des Unternehmens zu wahren.

Für Arbeitnehmer:

  1. Verantwortungsbewusste Meinungsäußerung: Ehemalige Mitarbeiter sollten sich ihrer Rechte, aber auch ihrer Pflichten bewusst sein. Kritiken sollten auf wahren Tatsachen basieren und sachlich vorgebracht werden, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Die Grenze zwischen zulässiger Kritik und Schmähkritik sollte stets beachtet werden.
  2. Wahrung der Vertraulichkeit: Selbst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses müssen ehemalige Mitarbeiter darauf achten, keine vertraulichen Informationen preiszugeben, die dem Unternehmen schaden könnten. Verstöße gegen Geheimhaltungspflichten können zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen.
  3. Rechtlicher Rat bei Unsicherheiten: Sollte es zu Konflikten mit dem ehemaligen Arbeitgeber kommen, ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen. Dies hilft, die eigene Position zu klären und mögliche Risiken zu minimieren.

5. Vergleichbare Urteile und rechtliche Rahmenbedingungen

Das Urteil des OLG Celle ist nicht das einzige, das sich mit der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Unternehmensinteressen beschäftigt. Es reiht sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, die diese Thematik beleuchten:

  1. BGH-Urteil zur Bewertung auf Bewertungsportalen (VI ZR 358/13): Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Unternehmen negative Bewertungen auf Bewertungsportalen hinnehmen müssen, solange diese nicht auf falschen Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik beruhen. Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Verbrauchern und ehemaligen Mitarbeitern, ihre Meinungen frei zu äußern.
  2. Verfassungsgericht zur Meinungsfreiheit (1 BvR 249/09): Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass die Meinungsfreiheit ein unverzichtbarer Bestandteil der demokratischen Grundordnung ist und nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden darf. Diese Entscheidung bildet die Grundlage für den Schutz kritischer Meinungsäußerungen.
  3. OLG München zur Wahrheitspflicht bei negativen Bewertungen (18 W 826/15): Das Oberlandesgericht München stellte klar, dass bei negativen Bewertungen die Wahrheitspflicht an erster Stelle steht. Solange eine Bewertung auf nachweisbaren Tatsachen beruht, kann sie nicht ohne Weiteres unterbunden werden.

6. Fazit

Aus meiner Sicht als Fachanwalt für IT-Recht stellt das Urteil des OLG Celle einen wichtigen Präzedenzfall dar, der die Grenzen der Meinungsfreiheit im Kontext von Bewertungen durch ehemalige Mitarbeiter klarer definiert. Es unterstreicht, dass Unternehmen nicht jede negative Bewertung als rufschädigend einstufen und rechtlich dagegen vorgehen können. Gleichzeitig zeigt es, dass ehemalige Mitarbeiter ihre Meinungsfreiheit verantwortungsbewusst nutzen sollten, um rechtliche Konflikte zu vermeiden.

Dieses Urteil wird Unternehmen dazu veranlassen, ihre Kommunikationsstrategien zu überdenken und präventive Maßnahmen zu ergreifen, um auf Kritik angemessen reagieren zu können. Für ehemalige Mitarbeiter ist es ein klares Signal, dass ihre Kritik ernst genommen wird, sie aber auch im Rahmen der Wahrheitspflicht und der Vermeidung von Schmähkritik bleiben müssen.

In einer zunehmend digitalisierten Welt, in der Bewertungen und Meinungsäußerungen online schnell und weit verbreitet werden, wird die rechtliche Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Schutz der Unternehmensinteressen immer wichtiger. Dieses Urteil ist ein Schritt in die richtige Richtung, um klare Leitlinien für alle Beteiligten zu schaffen.

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