Meinungsfreiheit siegt: OLG Stuttgart bestätigt Zulässigkeit kritischer Google-Bewertungen von Mandanten

Die digitale Reputation ist für Anwaltskanzleien heute entscheidender denn je. Doch was passiert, wenn ein unzufriedener Mandant seiner Enttäuschung über eine Kanzlei in einer öffentlichen Google-Rezension Luft macht? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einer Entscheidung vom 29. September 2025 (Az. 4 U 191/25) klargestellt: Auch harte Kritik an anwaltlichen Dienstleistungen fällt grundsätzlich unter den Schutz der Meinungsfreiheit – selbst wenn sie das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Kanzlei tangiert.

Der Fall: Von der Mandatierung zur vernichtenden Bewertung

Der zugrunde liegende Sachverhalt zeigt exemplarisch, wie schnell aus einer professionellen Mandatsbeziehung ein öffentlicher Reputationskonflikt entstehen kann. Im Februar 2023 beauftragte ein Arbeitnehmer eine mittelständische Anwaltskanzlei mit einer Kündigungsschutzklage, nachdem sein Arbeitgeber ihm Plagiat vorgeworfen hatte. Das Vertrauensverhältnis war jedoch nur von kurzer Dauer: Bereits nach einem Monat kündigte der Mandant die Zusammenarbeit auf.

Seine Enttäuschung ließ er die Öffentlichkeit wissen. In einer Google-Rezension vergab er nur einen von fünf möglichen Sternen und fasste seine Erfahrungen in den Worten zusammen: „Absolut enttäuschende Erfahrung!“ Doch dabei blieb es nicht. Der ehemalige Mandant konkretisierte seine Kritik mit deutlichen Vorwürfen:

  • Mangelhafte Kommunikation und fehlende Information über den Verfahrensstand
  • Unzureichende Vorbereitung des Anwalts
  • Fehlende fachliche Kompetenz in arbeitsrechtlichen Fragen
  • Versäumnisse bei wichtigen Terminen und Fristen
  • Falsche Rechtsberatung und Fehlinterpretation arbeitsrechtlicher Bestimmungen

Der Rechtsstreit: Unterlassungsklage vor dem Landgericht Tübingen

Die betroffene Kanzlei sah in der öffentlichen Kritik einen rechtswidrigen Eingriff in ihr Unternehmenspersönlichkeitsrecht und klagte vor dem Landgericht Tübingen. Die rechtliche Grundlage bildeten § 823 und § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit Art. 12 GG sowie das Unternehmenspersönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Das Landgericht gab der Unterlassungsklage zunächst statt und untersagte dem Rezensenten spezifische Aussagen, darunter:

  • „Ich wurde über den Stand meines Verfahrens völlig im Unklaren gelassen“
  • „Mein Anwalt war konsequent unvorbereitet“
  • „Es war offensichtlich das keine Nachforschungen angestellt wurden“
  • „Ich musste sie an wichtige Termine und Fristen erinnern“
  • „Sie haben wichtige Aspekte des Arbeitsrechts falsch interpretiert und mir falsche Ratschläge gegeben“

OLG Stuttgart stärkt Meinungsfreiheit

Das Oberlandesgericht Stuttgart korrigierte diese Entscheidung grundlegend. Der 4. Zivilsenat hob das erstinstanzliche Urteil auf und stellte klar: Die gesamte Rezension einschließlich aller kritisierten Aussagen war rechtmäßig.

Meinungsäußerung versus Tatsachenbehauptung

Das Gericht stufte sämtliche beanstandeten Aussagen als Meinungsäußerungen ein, nicht als überprüfbare Tatsachenbehauptungen. Diese Unterscheidung ist rechtlich fundamental: Während Tatsachenbehauptungen dem Beweis zugänglich sind, genießen Meinungsäußerungen grundsätzlich umfassenden Schutz durch die Meinungsfreiheit.

Das OLG begründete seine Einschätzung detailliert: Die Behauptung, „völlig im Unklaren“ gelassen worden zu sein, betreffe ein erwartetes Verhalten, das nicht objektiv messbar sei. Es handle sich um eine subjektive Einschätzung ohne nachweisbaren Tatsachenkern. Auch die Kritik an der angeblich unzureichenden Vorbereitung und fachlichen Kompetenz des Anwalts bewertete das Gericht als persönliche Meinung im spezifischen Kontext der Mandatsbeziehung.

Grenzen der Meinungsfreiheit beachtet

Entscheidend war für das Gericht, dass die Kritik nicht in Schmähkritik oder Formalbeleidigung umschlug. Die Aussagen bezogen sich sachbezogen auf die berufliche Leistung der Kanzlei und überschritten nicht die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung. Das OLG betonte ausdrücklich: „Auch und gerade Kritik soll ausgesprochen werden dürfen, sogar ohne dass diese belegt werden muss.“

Rechtliche Einordnung und praktische Konsequenzen

Diese Entscheidung fügt sich in die etablierte Rechtsprechung ein, die der Meinungsfreiheit hohe Bedeutung beimisst. Gleichzeitig zeigt sie die Grenzen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts bei der Abwehr von Kritik auf.

Schutzbereich der Meinungsfreiheit

Das Gericht unterstrich, dass der Begriff „Meinung“ in Anbetracht der Bedeutung der Meinungsfreiheit für die demokratische Grundordnung grundsätzlich weit zu verstehen ist. Meinungsäußerungen enthalten typischerweise eine wertende Komponente und sind von objektiv nachprüfbaren Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden.

Interessenabwägung im Einzelfall

Auch wenn negative Rezensionen in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht eingreifen, muss stets eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit erfolgen. Das OLG stellte klar, dass die Äußerungen die Sozialsphäre des Wirtschaftsunternehmens betrafen und sich sachlich mit der erbrachten Dienstleistung auseinandersetzten.

Strategische Empfehlungen für Anwaltskanzleien

Das Urteil des OLG Stuttgart hat weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit negativen Online-Bewertungen im Berufsstand der Rechtsanwälte.

Präventive Mandatsführung

Die beste Strategie gegen negative Bewertungen liegt in der professionellen Mandatsführung. Regelmäßige Kommunikation über den Verfahrensstand, sorgfältige Vorbereitung und transparente Kostenaufklärung können Enttäuschungen vermeiden. Ein strukturiertes Beschwerdemanagement ermöglicht es, Probleme frühzeitig zu erkennen und zu lösen, bevor sie in die Öffentlichkeit getragen werden.

Rechtliche Prüfung vor Unterlassungsklagen

Das Urteil zeigt deutlich, dass Unterlassungsklagen gegen negative Bewertungen nicht automatisch erfolgreich sind. Eine sorgfältige rechtliche Prüfung muss zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen differenzieren. Nur bei nachweislich unwahren Tatsachenbehauptungen oder echter Schmähkritik bestehen realistische Erfolgsaussichten.

Alternative Reaktionsstrategien

Statt sofort den Klageweg zu beschreiten, können andere Strategien zielführender sein. Eine sachliche öffentliche Antwort auf die Bewertung zeigt professionellen Umgang mit Kritik. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, die eigene Sichtweise darzustellen, ohne in einen langwierigen Rechtsstreit zu geraten.

Ausblick: Verschärfung der Rechtslage?

Die Entscheidung des OLG Stuttgart reiht sich in eine Rechtsprechungslinie ein, die der Meinungsfreiheit auch im digitalen Raum hohen Stellenwert beimisst. Kanzleien müssen sich darauf einstellen, dass Gerichte kritische Bewertungen grundsätzlich als schutzwürdige Meinungsäußerungen ansehen.

Bedeutung für die Branche

Für die Anwaltsbranche bedeutet dies eine erhöhte Sensibilität für die Qualität der Mandatsbetreuung. Die Gefahr öffentlicher Kritik kann durchaus als zusätzlicher Ansporn für professionelle Standards dienen. Gleichzeitig müssen Kanzleien lernen, konstruktiv mit Kritik umzugehen und ihre Reputation aktiv zu gestalten.

Entwicklung der Rechtsprechung

Es bleibt abzuwarten, ob andere Oberlandesgerichte dieser Linie folgen oder ob sich unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe entwickeln. Die Rechtsprechung zu Online-Bewertungen befindet sich weiterhin im Fluss und reagiert auf die sich wandelnden Kommunikationsgewohnheiten der digitalen Gesellschaft.

Fazit: Professionelle Mandatsführung als bester Schutz

Das Urteil des OLG Stuttgart sendet ein klares Signal: Die Meinungsfreiheit genießt auch bei der Bewertung anwaltlicher Dienstleistungen hohen Schutz. Kanzleien können sich nicht darauf verlassen, kritische Bewertungen regelmäßig per Gerichtsbeschluss entfernen zu lassen.

Der beste Schutz vor negativen Bewertungen liegt in der Qualität der anwaltlichen Arbeit selbst. Transparente Kommunikation, sorgfältige Vorbereitung und professionelle Mandatsführung sind die wirksamsten Instrumente zur Vermeidung von Reputationsschäden. Wenn dennoch einmal eine negative Bewertung erfolgt, sollte die Reaktion wohlüberlegt und strategisch durchdacht sein.

Die Entscheidung macht deutlich: Im Zeitalter der digitalen Bewertungsportale müssen sich auch Anwaltskanzleien dem öffentlichen Diskurs über ihre Leistungen stellen. Dies mag zunächst unbequem erscheinen, kann aber auch als Chance verstanden werden, durch exzellente Mandatsbetreuung positive Bewertungen zu generieren und das eigene Profil zu schärfen.

Haben Sie Fragen zum Umgang mit negativen Online-Bewertungen oder benötigen Sie Unterstützung bei der rechtlichen Bewertung einer Rezension? Kontaktieren Sie mich für eine kostenlose Erstberatung. Gemeinsam entwickeln wir eine maßgeschneiderte Strategie für Ihren Fall.

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