Als Fachanwalt für IT-Recht stoße ich immer wieder auf die Herausforderungen, die anonyme oder pseudonyme BewertungenBewertungen sind Rückmeldungen oder Beurteilungen von Produ... Mehr im Internet für Unternehmen mit sich bringen. Eine besonders prägnante Entscheidung, die die Hürden für die Identifizierung von Bewertern beleuchtet, ist der Beschluss des OLG Nürnberg vom 17.07.2019 (Az. 3 W 1470/19). Dieser Fall zeigt deutlich, unter welchen strengen Voraussetzungen ein Auskunftsanspruch gegen Plattformbetreiber wie GoogleGoogle LLC ist ein US-amerikanisches Technologieunternehmen,... Mehr besteht – oder eben nicht.
Der Sachverhalt: Ein-Stern-Bewertung und der Wunsch nach Identität
Im Kern ging es um eine Zahnarztpraxis, die auf Google Maps von einem Nutzer namens „B… H…“ mit nur einem von fünf Sternen und den Worten „Oje. Naja.“ bewertet wurde. Pikant dabei: Derselbe Nutzer hatte kurz zuvor einen Konkurrenten der Praxis überaus positiv bewertet und eine langjährige Patientenbeziehung behauptet. Später tauchte ein Nutzer „N…“ mit einer wortgleichen positiven Bewertung für den Konkurrenten auf. Die Zahnarztpraxis vermutete einen Zusammenhang und forderte Google zur Löschung und zur Herausgabe der Bestandsdaten (Name, Anschrift etc.) der Nutzer „B… H…“ und „N…“ auf, um zivilrechtliche Ansprüche verfolgen zu können. Das Profil des Nutzers „B… H…“ war zwischenzeitlich nicht mehr abrufbar.
Die Entscheidung des OLG Nürnberg: Keine Auskunftspflicht für Google
Sowohl das LandgerichtEin Landgericht ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbar... Mehr Nürnberg-Fürth als auch das OLG Nürnberg wiesen den Antrag der Zahnarztpraxis zurück. Die Begründung des OLG ist vielschichtig und für die Praxis hochinformativ:
- Grundlage des Auskunftsanspruchs: § 14 Abs. 3 TMG Der Anspruch auf Auskunft über Bestandsdaten gegen Diensteanbieter wie Google stützt sich auf § 14 Abs. 3 Telemediengesetz (TMG). Dieser erlaubt die Auskunftserteilung, wenn sie zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) erfasst werden, erforderlich ist.
- Fehlender Unterlassungsanspruch gegen die Nutzer als Hauptanspruch Das Gericht stellte fest, dass den Antragstellern kein hinreichend dargelegter Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen die Nutzer zustand.
- MeinungsäußerungEine Meinungsäußerung ist die Verbalisierung oder schriftl... Mehr vs. TatsachenbehauptungEine Tatsachenbehauptung ist eine Aussage, die objektiv übe... Mehr: Die Bewertung „Oje. Naja.“ und die Vergabe eines Sterns wurden als Meinungsäußerung qualifiziert. Solche Äußerungen sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gedeckt, solange sie keine Schmähkritik darstellen. Eine Schmähung lag hier nicht vor. Auch die fehlende Begründung machte die Bewertung nicht per se unzulässig.
- Fehlender Behandlungskontakt nicht ausreichend dargelegt: Die Zahnärzte behaupteten, es habe nie ein Behandlungskontakt mit „B… H…“ bestanden. Grundsätzlich würde dies bei einer negativen Bewertung die Interessenabwägung zugunsten des Bewerteten verschieben. Zwar trifft den Plattformbetreiber (Google) eine sekundäre Darlegungslast bezüglich des Behandlungskontakts. Da das Profil des Nutzers „B… H…“ jedoch unstreitig vom Nutzer selbst gelöscht worden war und Google vortrug, die Daten seien entsprechend der üblichen Fristen (30 Tage nach Profillöschung) gelöscht worden, konnte Google keine Nachforschungen mehr anstellen. Somit blieben die Antragsteller für das Fehlen eines Behandlungskontakts darlegungs- und beweisfällig. Das Gericht ließ offen, ob die Grundsätze der sekundären Darlegungslast hier überhaupt griffen oder Google seiner Nachforschungsobliegenheit (durch die „Negativauskunft“) nachgekommen sei.
- Positive Bewertung eines Konkurrenten: Die positive Bewertung eines Konkurrenten durch die Nutzer „B… H…“ und „N…“ sah das Gericht nicht als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der antragstellenden Zahnarztpraxis an.
- Kein rechtswidriger Inhalt im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG Selbst wenn ein Unterlassungsanspruch bestanden hätte, wäre die Auskunftspflicht nach § 14 Abs. 3 TMG an einer weiteren Hürde gescheitert: Die Inhalte müssten unter die Straftatbestände des § 1 Abs. 3 NetzDG fallen. Diese Vorschrift zielt laut Gesetzesbegründung auf die Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Falschnachrichten ab und soll nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen greifen.
- Keine Beleidigung (§ 185 StGB): Das Gericht sah in der Bewertung „Oje. Naja.“ keine Beleidigung. Es handle sich um eine sozialadäquate Äußerung des Grades der Unzufriedenheit in einem dafür vorgesehenen Portal. Im Internet sei ein großzügigerer Maßstab anzulegen; plakative und provokative Äußerungen seien üblich. Die Bewertung sei weder Schmähkritik noch Formalbeleidigung.
- Keine Üble Nachrede (§ 186 StGB): Da die Bewertung primär als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren sei, scheide auch der Tatbestand der üblen Nachrede aus. Zwar impliziere die Bewertung einen Kontakt, der Kern sei aber das Werturteil.
Was bedeutet diese Entscheidung für betroffene Unternehmen?
Das Urteil des OLG Nürnberg unterstreicht mehrere wichtige Aspekte:
- Hohe Hürden für Auskunftsansprüche: Die Latte für die Herausgabe von Nutzerdaten durch Plattformbetreiber wie Google liegt sehr hoch. Es reicht nicht, dass eine Bewertung negativ oder unbegründet ist.
- Bedeutung des NetzDG: Der Auskunftsanspruch nach § 14 Abs. 3 TMG ist eng an die (engen) Voraussetzungen des NetzDG geknüpft. Nur wenn der Inhalt einen der dort genannten Straftatbestände (z.B. Beleidigung, üble Nachrede von erheblichem Gewicht) erfüllt, kommt eine Auskunft in Betracht. Eine schlichte, wenn auch ärgerliche, Meinungsäußerung wie „Oje. Naja.“ reicht hierfür nicht aus.
- Darlegungslast bei fehlendem Kundenkontakt: Die Behauptung, es habe kein Kundenkontakt bestanden, ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Allerdings kann die Durchsetzung schwierig werden, wenn der Nutzer sein Profil löscht und der Plattformbetreiber die Daten aufgrund von Löschfristen nicht mehr vorhält oder überprüfen kann. Die sekundäre Darlegungslast des Plattformbetreibers hat hier ihre Grenzen.
- Meinungsfreiheit wiegt schwer: Gerichte räumen der Meinungsfreiheit im Kontext von Bewertungsportalen einen breiten Spielraum ein. Auch überspitzte oder pauschale Kritik muss oft hingenommen werden, solange sie nicht in Schmähkritik umschlägt oder unwahre Tatsachenbehauptungen enthält, die einen Straftatbestand erfüllen.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist ein Dämpfer für Unternehmen, die sich allzu leichtfertig erhoffen, die Identität hinter negativen Online-Bewertungen aufdecken zu können. Sie zeigt, dass der Gesetzgeber und die Rechtsprechung dem Schutz anonymer oder pseudonymer Meinungsäußerung im Internet einen hohen Stellenwert beimessen, solange bestimmte Grenzen nicht überschritten werden.
Unternehmen, die von negativen Bewertungen betroffen sind, sollten:
- Genau prüfen: Liegt eine reine Meinungsäußerung vor oder eine (nachweislich falsche) Tatsachenbehauptung?
- Strafrechtliche Relevanz einschätzen: Erfüllt die Bewertung einen Straftatbestand nach dem NetzDG (z.B. Beleidigung, üble Nachrede, Volksverhetzung)? Nur dann ist ein Auskunftsanspruch nach § 14 Abs. 3 TMG überhaupt denkbar.
- Alternative Wege erwägen: Oftmals ist es sinnvoller, auf die Bewertung öffentlich und sachlich zu reagieren oder bei offensichtlichen Verstößen gegen die Richtlinien der Plattform deren Löschmechanismen zu nutzen.
- Rechtlichen Rat einholen: Jeder Fall ist anders. Eine anwaltliche Beratung kann helfen, die Erfolgsaussichten und die richtige Strategie zu bestimmen.
Die digitale ReputationReputation bezeichnet den Ruf oder das Ansehen, das eine Per... Mehr ist ein hohes Gut, doch der Weg zur Identifizierung anonymer Kritiker ist steinig und an strenge Voraussetzungen geknüpft. Das OLG Nürnberg hat dies einmal mehr verdeutlicht.