Ein Stern sagt nicht immer alles – Das LG Augsburg zur Löschung von 1-Sterne-Bewertungen ohne Text

In unserer digital vernetzten Wirtschaftswelt sind Online-Bewertungen zu einer mächtigen Währung geworden. Sie fungieren als digitale Visitenkarten, beeinflussen Kaufentscheidungen und können maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg, insbesondere von lokalen Dienstleistern, mitentscheiden. Während positive Rezensionen wie ein Turbo für das Geschäft wirken können, stellen negative Bewertungen, vor allem wenn sie anonym und ohne jegliche Begründung abgegeben werden, eine erhebliche Belastung und Quelle großen Ärgers dar. Die berüchtigte „1-Stern-Bewertung ohne Kommentar“ ist hierbei ein besonders frustrierender Fall. Doch welche rechtlichen Mittel haben betroffene Unternehmen? Das Landgericht Augsburg hat mit seinem Endurteil vom 17. August 2017 (Aktenzeichen: 022 O 560/17) eine vielbeachtete Entscheidung getroffen, die Licht in das Dunkel dieser Frage bringt und die wir heute detailliert beleuchten wollen.

Der Fall im Detail: Ein Zahnarzt im Kampf gegen einen anonymen Stern

Im Zentrum des Verfahrens stand der Betreiber einer Praxisklinik für Zahnmedizin in Augsburg. Dieser sah sich auf einer von der Beklagten betriebenen Online-Plattform, die Nutzern das Abgeben von Erfahrungsberichten und Sterne-Bewertungen (Skala 1 bis 5 Sterne) ermöglicht, mit einer harschen Kritik konfrontiert: Ein Nutzer mit einem Pseudonym hatte seine Praxisklinik zwischen Januar und Februar 2016 mit nur einem Stern bewertet – ohne jeglichen erläuternden Text.

Der Kläger, der Zahnarzt, brachte vor, dass ihm eine Person mit dem betreffenden Nutzernamen gänzlich unbekannt sei und diese Person auch nie Patient in seiner Praxis gewesen wäre. Er vertrat die Auffassung, dass die Bewertung somit jeder tatsächlichen Grundlage entbehre und eine unwahre Tatsachenbehauptung darstelle, die sein Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletze. Folgerichtig beantragte er, die Beklagte (die Plattformbetreiberin) zu verurteilen, es zu unterlassen, diese spezifische Bewertung weiter zu verbreiten.

Die Beklagte hingegen argumentierte, dass dem Kläger keine Rechtsgutsverletzung entstanden sei. Die reine Vergabe eines Sterns stelle eine zulässige Meinungsäußerung dar und sei vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt.

Die prozessuale Hürde: Bestimmtheit des Antrags – Ein kleiner Sieg für den Kläger

Bevor das Gericht zur eigentlichen Sachfrage kam, musste es die Zulässigkeit der Klage prüfen. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Bestimmtheit des Klageantrags nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Unterlassungsantrag muss so konkret gefasst sein, dass klar ist, welche Handlung genau verboten werden soll.

Die Beklagte hatte eingewandt, der Antrag sei zu unbestimmt und zu weit gefasst, da er sich nicht auf ein exaktes Datum der Bewertung beziehe und somit potenziell auch zukünftige Bewertungen desselben Nutzers erfassen könnte. Das LG Augsburg folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Es stellte fest, dass der Kläger die konkrete URL und den Nutzernamen angegeben hatte. Angesichts der Tatsache, dass es sich um eine reine 1-Sterne-Bewertung ohne weiteren Text handelte, sah das Gericht die Schwierigkeit für den Kläger, den Eintrag noch genauer zu umschreiben. Würde man hier strengere Maßstäbe anlegen, so das Gericht, hätte ein Kläger bei textlosen Bewertungen kaum eine Chance, einen zulässigen Antrag zu stellen, da Plattformen Datumsangaben oft relativ („vor einem Jahr“, „vor 3 Monaten“) und damit dynamisch anzeigen. Das Gericht führte aus, dass eine Abgrenzung zu etwaigen zukünftigen Bewertungen desselben Nutzers dann über das jeweilige neue Datum möglich wäre. Diese prozessuale Einschätzung ist für Kläger in ähnlichen Situationen hilfreich, auch wenn sie im vorliegenden Fall nicht zum Erfolg in der Hauptsache führte.

Die Kernentscheidung des LG Augsburg: Klage abgewiesen – Die Gründe im Detail

Trotz der Zulässigkeit der Klage wurde sie vom LG Augsburg als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG (Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. Unternehmenspersönlichkeitsrechts). Die zentralen Erwägungen des Gerichts waren:

  1. Die 1-Sterne-Bewertung als zulässige Meinungsäußerung: Das Gericht differenzierte klar zwischen (unwahren) Tatsachenbehauptungen und (zulässigen) Meinungsäußerungen/Werturteilen. Eine Tatsachenbehauptung ist dem Beweis zugänglich (wahr oder falsch), während eine Meinungsäußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist. Die Vergabe eines einzelnen Sterns, so das Gericht, teile lediglich mit, dass der Nutzer eine Meinung zur bewerteten Praxis habe und drücke ein negatives Werturteil aus. Es sei eine subjektive, individuelle Bewertung. Wichtig ist hier: Es wird keine konkrete Aussage darüber getroffen, welche spezifischen Leistungen oder Personen der Klinik gemeint sind oder welche konkreten Umstände zur negativen Bewertung geführt haben.
  2. Keine implizite Behauptung eines Patientenkontakts: Das Gericht stellte klar, dass die Bewertung nicht dahingehend zu verstehen sei, dass der Nutzer zwingend als Patient des Klägers oder seiner Klinik aufgetreten sein muss. Der Hintergrund der Bewertung bleibe für den durchschnittlichen Internetnutzer offen. Entscheidend sei allein, „dass der Nutzer in irgendeiner Art und Weise mit der Klinik des Klägers in Berührung kam und sich über diesen Kontakt eine Meinung über die Klinik gebildet hat, die ihn veranlasst hat eine Ein-Sternchen-Bewertung abzugeben.“ Ob dieser Kontakt ein Anruf, der Besuch der Webseite, Hörensagen oder eine andere Form der Wahrnehmung war, ließ das Gericht offen. Da die Bewertung keine Tatsachen über einen Patientenkontakt impliziert, sei die Behauptung des Klägers, den Nutzer nicht zu kennen oder als Patient behandelt zu haben, für die rechtliche Bewertung der Äußerung als solche nicht erheblich. Es fehle an einer unwahren Tatsachenbehauptung innerhalb der Bewertung.
  3. Freiheit der Meinungsäußerung schützt auch unbegründete Meinungen: Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung (explizit genannt: OLG Köln, Urteil vom 6.1.2009, Az.: 15 U 174/08), wonach es zur Freiheit der Meinungsäußerung gehöre, seine Meinung auch äußern zu können, ohne diese erklären oder die Gründe dafür offenlegen zu müssen. Eine Pflicht zur Begründung von Werturteilen würde das Grundrecht auf Meinungsfreiheit unzulässig einschränken.
  4. Keine Schmähkritik: Eine Meinungsäußerung kann dann unzulässig werden, wenn sie die Grenze zur Schmähkritik überschreitet. Von Schmähkritik spricht man, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung und Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Das LG Augsburg sah diese Schwelle hier nicht überschritten. Die Bewertung bezog sich auf die Praxisklinik und damit auf die berufliche, unternehmerische Sphäre des Klägers. Das Gericht merkte an, dass der Kläger sich bewusst für einen Internetauftritt und eine Registrierung bei den Diensten der Beklagten entschieden habe und daher auch mit negativer Kritik rechnen müsse. Solange die Grenze der Beleidigung nicht überschritten sei und keine schwerwiegenden Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht bestünden (was hier nicht der Fall war), sei der Kläger gehalten, negative Meinungen zu dulden.
  5. Keine Verletzung von Prüfungspflichten durch die Plattform: Da die streitgegenständliche Bewertung als zulässige Meinungsäußerung eingestuft wurde, hat die Beklagte als Plattformbetreiberin (als mögliche Mitstörerin oder mittelbare Störerin) ihre Prüfungspflichten im Hinblick auf die weitere Verbreitung nicht verletzt. Eine Pflicht zur Löschung bestand somit nicht.

Analyse aus der Perspektive des Fachanwalts für IT-Recht

Dieses Urteil des LG Augsburg fügt sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, die die Reichweite der Meinungsfreiheit im Kontext von Online-Bewertungen konturieren. Es verdeutlicht einige zentrale Aspekte:

  • Die Crux der Abgrenzung: Tatsachenbehauptung vs. Meinungsäußerung: Dies ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt in fast allen Auseinandersetzungen um Online-Bewertungen. Nur wenn eine Äußerung als (unwahre) Tatsachenbehauptung qualifiziert werden kann, bestehen gute Chancen auf einen Löschungsanspruch. Reine Werturteile sind weitreichend geschützt.
  • Die „niedrige Schwelle“ für einen meinungsbildenden Kontakt: Die Augsburger Richter legen die Anforderungen an einen „Kontakt“, der eine Meinungsbildung rechtfertigen kann, sehr niedrig an. Dies macht es für betroffene Unternehmen extrem schwierig, zu argumentieren, eine Bewertung sei „aus der Luft gegriffen“, solange sie keine konkreten falschen Tatsachenbehauptungen enthält.
  • Die Last der Darlegung und des Beweises: Derjenige, der die Löschung einer Bewertung begehrt, muss darlegen und im Streitfall beweisen, dass seine Rechte verletzt sind. Bei einer als Meinungsäußerung zu qualifizierenden Bewertung muss er also z.B. das Vorliegen von Schmähkritik oder den unwahren Tatsachenkern einer scheinbaren Meinungsäußerung beweisen.
  • Die Rolle der Portalbetreiber (Störerhaftung): Plattformbetreiber wie Google, Yelp, Jameda etc. haften für fremde Inhalte in der Regel nicht vor Kenntnis einer klaren Rechtsverletzung (sog. „Notice-and-Take-Down“-Prinzip). Eine textlose 1-Sterne-Bewertung stellt per se meist keine offensichtliche und eindeutige Rechtsverletzung dar, die eine sofortige Löschpflicht ohne weitere Prüfung auslöst. Die Prüfungspflichten werden erst intensiviert, wenn der Betroffene substantiiert auf eine Rechtsverletzung hinweist.
  • Strategische Bedeutung für Unternehmen: Das Urteil unterstreicht die Schwierigkeit, gegen anonyme, textlose Negativbewertungen vorzugehen. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass solche „stummen Kritiken“ Teil der Online-Realität sind.

Erweiterte praktische Handlungsempfehlungen und proaktive Strategien

Auch wenn das Urteil des LG Augsburg die Hürden für die Löschung textloser 1-Sterne-Bewertungen als hoch erscheinen lässt, sind Unternehmen nicht völlig machtlos. Es geht darum, strategisch und überlegt vorzugehen:

  1. Proaktives Reputationsmanagement:
    • Ermutigen Sie zufriedene Kunden aktiv (aber stets ethisch korrekt und im Einklang mit den Plattformrichtlinien), positive Bewertungen abzugeben. Ein Strom positiver Rückmeldungen kann vereinzelte negative Bewertungen relativieren.
    • Monitoren Sie Ihre Online-Präsenz kontinuierlich. Richten Sie Benachrichtigungen ein, um zeitnah von neuen Bewertungen zu erfahren.
  2. Professionelle Reaktion auf (negative) Bewertungen:
    • Antworten Sie zeitnah, sachlich und professionell, auch auf 1-Sterne-Bewertungen ohne Text.
    • Beispiel für eine Antwort auf eine textlose 1-Sterne-Bewertung: „Sehr geehrte/r Bewerter/in, wir bedauern, dass Sie uns nur mit einem Stern bewertet haben. Da Ihre Bewertung keinen Text enthält, können wir leider nicht nachvollziehen, was zu Ihrer Unzufriedenheit geführt hat. Wir nehmen jedes Feedback ernst und würden uns freuen, wenn Sie uns unter [Kontakt-E-Mail/Telefonnummer] direkt kontaktieren, damit wir Ihr Anliegen klären können. Ihr Team von [Unternehmensname].“
    • Vermeiden Sie unter allen Umständen öffentliche Streitereien oder aggressive Töne. Dies wirkt unprofessionell und kann den negativen Eindruck verstärken.
    • Bieten Sie an, das Gespräch offline fortzusetzen, um das Problem individuell zu lösen.
  3. Meldung an den Portalbetreiber – mit Bedacht:
    • Auch wenn die Erfolgsaussichten bei reinen Sterne-Bewertungen, wie das LG Augsburg zeigt, begrenzt sind, kann eine Meldung unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, z.B. wenn Sie einen Verstoß gegen die spezifischen Richtlinien der Plattform vermuten (z.B. Mehrfachbewertungen vom selben Nutzer, Interessenkonflikte).
    • Argumentieren Sie bei der Meldung präzise und belegen Sie Ihre Angaben so gut wie möglich.
  4. Wann ist anwaltliche Beratung und Intervention sinnvoll? Die Konsultation eines spezialisierten Rechtsanwalts ist insbesondere in folgenden Fällen ratsam:
    • Die Bewertung enthält konkrete, nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen im Text. Beispiel: „Die Behandlung bei Dr. X kostete 500€, obwohl 200€ vereinbart waren“ – wenn dies nachweislich falsch ist.
    • Die Bewertung impliziert einen spezifischen Kundenkontakt, der nachweislich nicht stattgefunden hat. Beispiel: „Meine Zahnreinigung letzte Woche war schrecklich.“ Wenn die Person nachweislich weder letzte Woche noch jemals zur Zahnreinigung da war. (Hier unterscheidet sich die Situation vom Augsburger Fall, wo die Bewertung eben keinen solchen spezifischen Kontakt implizierte).
    • Es handelt sich um Schmähkritik, Beleidigungen, Drohungen oder andere strafrechtlich relevante Inhalte.
    • Es liegt ein erkennbares Muster von Fake-Bewertungen vor (z.B. viele negative Bewertungen in kurzer Zeit von neu erstellten Profilen ohne weitere Aktivität).
    • Der Bewerter gibt sich fälschlicherweise als jemand aus, der er nicht ist (z.B. „Als ehemaliger Mitarbeiter kann ich sagen…“ – wenn die Person nie dort beschäftigt war).

Fazit: Ein Balanceakt zwischen Meinungsfreiheit und Unternehmensschutz

Das Urteil des LG Augsburg ist ein wichtiger Mosaikstein in der Rechtsprechung zu Online-Bewertungen. Es stärkt die Position der Meinungsfreiheit, insbesondere für knappe, textlose Werturteile. Für Unternehmen bedeutet dies, dass ein gewisses Maß an unliebsamer, auch unbegründeter Kritik als Teil der digitalen Öffentlichkeit hingenommen werden muss. Gleichzeitig zeigt das Urteil aber auch – insbesondere in den Ausführungen zur Zulässigkeit des Klageantrags – dass Gerichte die praktischen Schwierigkeiten von Betroffenen durchaus sehen.

Der Schlüssel liegt in einem wachsamen Auge auf die eigene Online-Reputation, einer professionellen Kommunikationsstrategie und der Bereitschaft, bei klaren Rechtsverstößen auch den juristischen Weg zu beschreiten – idealerweise nach fundierter anwaltlicher Beratung.

Wenn Sie mit negativen Online-Bewertungen konfrontiert sind und eine Einschätzung Ihrer rechtlichen Möglichkeiten wünschen, stehe ich Ihnen als Fachanwalt für IT-Recht gerne zur Verfügung.

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