In der Welt der Gesundheitsversorgung tobt ein stiller, aber intensiver Kampf: Lokale Apotheken gegen ihre digitalen Konkurrenten aus dem Ausland. Ein kürzlich vom LandgerichtEin Landgericht ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbar... Mehr München II entschiedener Fall bringt diese Auseinandersetzung nun ans Licht der Öffentlichkeit und wirft wichtige Fragen auf: Wie fair ist der Wettbewerb zwischen deutschen Vor-Ort-Apotheken und ausländischen Online-Anbietern wirklich? Und welche Auswirkungen hat dieser Konkurrenzkampf auf unsere Gesundheitsversorgung?
Der Fall: Provokante Worte eines lokalen Apothekers
Am 20. März 2025 wies das Landgericht München II den Antrag einer in den Niederlanden ansässigen Online-Apotheke zurück. Diese hatte gegen den Inhaber einer Apotheke aus dem Isarwinkel Unterlassung bestimmter Äußerungen gefordert, die er in einem Interview mit dem Lokalteil einer überregionalen Zeitung getätigt hatte.
Der Apotheker hatte im Interview mehrere markante Aussagen getroffen:
- „Der Onlinehandel hat ja ganz viele Posten, für die wir Händler vor Ort hohe Ausgaben haben, gar nicht.“
- „Die Online-Apotheken sitzen in Holland, da fallen dann schon mal die 19% Mehrwertsteuer weg. Wie sollen wir da mithalten?“
- Online-Apotheken seien „Schmarotzer unseres Steuersystems“.
- Bei Online-Apotheken gebe es „keine Beratung mehr und keinen Apotheker, der nochmal drüberschaut, ob sich das Medikament mit den anderen verträgt“.
Diese unverblümten Worte führten zum Rechtsstreit. Doch das Gericht sah keine Grundlage für eine Unterlassung und wies den Antrag zurück. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Die Begründung des Gerichts: Fakten statt falscher Behauptungen
Das Landgericht München II kam zu dem Schluss, dass das Interview im Lokalteil der Zeitung keine geschäftliche Handlung nach § 2 Absatz 1 Nr. 2 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) darstellt. Interessanterweise stellte das Gericht auch fest, dass die von der Klägerin angegriffenen Tatsachenbehauptungen durchaus korrekt waren:
- Der Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel beträgt in Deutschland tatsächlich 19%, während er in den Niederlanden nur 9% beträgt.
- Im niederländischen Recht existiert keine Gewerbesteuer, im Gegensatz zu Deutschland.
- Die vom Apotheker angesprochenen Vorteile einer persönlichen Ansprache in der Apotheke liegen nach Ansicht des Gerichts „auf der Hand“.
Selbst die Bezeichnung „Schmarotzer“ wurde vom Gericht als polemische Zuspitzung im Rahmen der Meinungsfreiheit gewertet, da sie im Kontext einer sachlichen Auseinandersetzung mit den strukturellen Nachteilen niedergelassener Apotheker stand.
Steuerliche Unterschiede: Ein ungleiches Spielfeld
Die vom Apotheker angesprochenen steuerlichen Unterschiede sind tatsächlich erheblich und stellen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil für niederländische Online-Apotheken dar. Während deutsche Apotheken mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19% auf Arzneimittel belastet werden, profitieren niederländische Anbieter von einem reduzierten Satz von nur 9%.
Hinzu kommt die in Deutschland erhobene Gewerbesteuer, die je nach Gemeinde unterschiedlich hoch ausfallen kann. In den Niederlanden existiert dieses Steuermodell nicht; dort werden Unternehmensgewinne lediglich über die Körperschaftsteuer besteuert. Diese steuerlichen Unterschiede führen zu einer verzerrten Wettbewerbssituation, in der lokale Apotheken mit deutlich höheren Abgaben belastet werden.
Die Frage der Beratungsqualität: Persönlich vs. Digital
Ein weiterer zentraler Punkt in der Auseinandersetzung ist die Qualität der pharmazeutischen Beratung. Lokale Apotheken punkten hier mit persönlicher und individueller Beratung durch qualifiziertes Fachpersonal. Der direkte Kontakt ermöglicht eine auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Beratung und kann in akuten Situationen unmittelbare Hilfe bieten.
Online-Apotheken versuchen, diese Lücke mit digitalen Beratungsangeboten wie Hotlines oder Chat-Funktionen zu schließen. Einige Studien deuten darauf hin, dass Online-Apotheken in bestimmten Bereichen, wie der Erkennung von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten, sogar Vorteile bieten können, da ihre Systeme auf umfangreiche Datenbanken zugreifen.
Dennoch bleibt die Frage: Kann eine digitale Beratung die persönliche Interaktion wirklich ersetzen? Besonders bei älteren Patienten oder komplexen medizinischen Fragen stoßen digitale Lösungen oft an ihre Grenzen.
Die Krise der deutschen Apothekenlandschaft
Die aktuelle Auseinandersetzung findet vor dem Hintergrund einer besorgniserregenden Entwicklung statt: Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt kontinuierlich. Im Jahr 2024 gab es einen Rückgang um 530 Apotheken auf insgesamt nur noch 17.041 – der niedrigste Stand seit 1978.
Steigende Betriebskosten, ein gravierender Fachkräftemangel und ein als veraltet empfundenes Vergütungssystem belasten die lokalen Apotheken erheblich. Die daraus resultierenden Schließungen führen zu längeren Wegen für Patienten und einer insgesamt reduzierten pharmazeutischen Versorgung, besonders in ländlichen Gebieten.
Während die Situation der stationären Apotheken gut dokumentiert ist, gibt es weniger Informationen über die wirtschaftliche Lage der Online-Apotheken. Diese operieren jedoch unter den gleichen regulatorischen Rahmenbedingungen und sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert – wenn auch mit dem Vorteil günstigerer Steuerbelastungen im Ausland.
Datenschutz und Kundensicherheit: Ein unterschätzter Aspekt
Ein oft vernachlässigter Aspekt in der Diskussion ist der Datenschutz. Lokale Apotheken bieten hier klare Vorteile, da sensible Gesundheitsdaten direkt vor Ort verarbeitet werden und nicht digital übermittelt werden müssen. Bei Online-Apotheken hingegen ist es für Kunden oft schwer zu durchschauen, was mit ihren persönlichen Daten geschieht.
Auch die Sicherheit der Medikamente selbst ist ein Thema: Während in einer Vor-Ort-Apotheke die Qualität und Echtheit der Medikamente direkt überprüfbar ist, erfordert der Online-Kauf ein hohes Maß an Vertrauen in den Anbieter. Berichte über gefälschte Medikamente im Versandhandel haben das Vertrauen in diese Vertriebsform teilweise erschüttert.
Ein Ausblick: Was bedeutet das Urteil für die Zukunft?
Das Urteil des Landgerichts München II könnte einen Wendepunkt in der öffentlichen Debatte um die Zukunft der Apothekenlandschaft darstellen. Es legitimiert eine offene und durchaus kritische Auseinandersetzung mit den strukturellen Vorteilen ausländischer Online-Apotheken und den damit verbundenen Herausforderungen für die lokale Gesundheitsversorgung.
Die vom lokalen Apotheker angesprochenen Probleme – ungleiche Steuerbelastung, unterschiedliche regulatorische Anforderungen und die Frage der Beratungsqualität – sind reale Herausforderungen, die eine politische Antwort erfordern. Das Urteil könnte den Druck auf die Politik erhöhen, diese Themen ernsthafter anzugehen und für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.
Fazit: Mehr als nur ein Wortgefecht
Der Fall zeigt exemplarisch, dass es bei der Auseinandersetzung zwischen lokalen und Online-Apotheken um mehr geht als nur um unterschiedliche Geschäftsmodelle. Es geht um fundamentale Fragen unserer Gesundheitsversorgung:
- Wie wichtig ist uns die persönliche Beratung durch Apotheker?
- Welchen Wert messen wir der flächendeckenden Versorgung mit Apotheken bei?
- Wie kann ein fairer Wettbewerb zwischen nationalen und internationalen Anbietern aussehen?
- Welche Rolle sollen digitale Angebote in unserer Gesundheitsversorgung spielen?
Das LG München II hat mit seiner Entscheidung jedenfalls klargestellt: Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist legitim und durch die Meinungsfreiheit gedeckt – auch wenn sie in zugespitzter Form erfolgt. Für die Zukunft unserer Gesundheitsversorgung ist diese Debatte essentiell.
Die Bezeichnung „Schmarotzer unseres Steuersystems“ mag provokant sein – doch sie hat eine wichtige Diskussion angestoßen, die weit über den Einzelfall hinausreicht und grundlegende Fragen zu Fairness, Versorgungsqualität und der Zukunft unseres Gesundheitssystems aufwirft. Eine Diskussion, die wir als Gesellschaft führen müssen – im Interesse einer qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Gesundheitsversorgung.
Dieser Artikel basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen und stellt keine Rechtsberatung dar. Das erwähnte Urteil des LG München II vom 20.3.2025 – 2 HK O 627/25 ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht rechtskräftig.