Landgericht Hamburg zum Schutz scharfer Meinungsäußerungen: Kritik mit Begriffen wie ‚Mörder‘ oder ‚Kadaverschau‘ bei Tierschutzthemen zulässig – Wegweisendes Urteil zur Meinungsfreiheit im Reputationskonflikt

Das Landgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 12. April 2023 ein aufsehenerregendes Urteil zur Meinungsfreiheit gefällt. Es geht um die Zulässigkeit äußerst scharfer Kritik gegenüber einem Modeunternehmen, das Produkte aus echtem Tierleder verkauft. Im Mittelpunkt stehen Begriffe wie „Mörderin“, „Mordschauen“ und „blutige Geschäfte“. Das Gericht entschied, dass solche Äußerungen, obwohl sie provokant und emotional sind, im konkreten Kontext zulässige Meinungsäußerungen darstellen.

Hintergrund des Falls

Gegenstand des Rechtsstreits war ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch ein Modeunternehmen und dessen Inhaberin. Sie wandten sich gegen eine Tierschutzaktivistin, die öffentlichkeitswirksam kritische Aussagen über die Verwendung von Tierleder in der Modeindustrie gemacht hatte. Unter anderem verwendete die Aktivistin Begriffe wie:

  • „Mörderin“
  • „Mordschauen“
  • „Kadaverschauen“
  • „Leichenschauen“
  • „blutige Geschäfte“

Diese Äußerungen erfolgten in sozialen Medien sowie auf einer Webseite. Das Modeunternehmen sah darin eine schwerwiegende Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. Unternehmenspersönlichkeitsrechts.

Antrag und Entscheidung des Landgerichts

Die Antragstellerinnen verlangten Unterlassung dieser Äußerungen gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Sie sahen sich durch die Begriffe öffentlich diffamiert und in ihrem geschäftlichen Ansehen beeinträchtigt.

Das Landgericht Hamburg wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch zurück. Es stellte klar, dass es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen um zulässige Meinungsäußerungen handele, die vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst sind.

Rechtliche Bewertung des Gerichts

Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Die 24. Zivilkammer nahm eine umfassende Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Antragstellerinnen und der Meinungsfreiheit der Antragsgegnerin vor. Dabei wies das Gericht auf die hohe Bedeutung öffentlicher Diskussionen über Tierschutz und Mode hin.

Kein Tatsachenkern im Sinne einer Verleumdung

Das Gericht machte deutlich, dass ein durchschnittlicher Leser die Bezeichnungen wie „Mörderin“ oder „Mordschau“ nicht als Tatsachenbehauptung im Sinne einer tätlichen Tötung von Menschen verstehe. Vielmehr seien diese Begriffe eindeutig als zugespitzte Kritik an der Verwendung von Tierleder zu werten.

Die Kritik richte sich gegen die Praxis, Tiere zu töten, um aus ihrer Haut Kleidung herzustellen. Solche Formulierungen seien typische Mittel des öffentlichen Protests im Tierschutzdiskurs und daher in der Demokratie grundsätzlich hinzunehmen.

Anknüpfung an wahre Tatsachen

Weiterhin wies das Gericht darauf hin, dass die Antragstellerinnen selbst auf ihrer Webseite Produkte aus echtem Leder anboten, etwa:

  • Krokokleid mit „Krokopatches aus echtem Leder“
  • Jacken aus Cobraleder
  • Kleidung mit „Babysalamanderleder“

Diese Tatsachen bildeten die Anknüpfung für die streitgegenständlichen Aussagen. Damit sei die Kritik nicht „aus der Luft gegriffen“, sondern tatsächlich begründet.

Besonderheit: Reaktion auf Abmahnung

Auch eine Äußerung, die die Homepage der Antragstellerinnen als „irreführend und falsch“ bezeichnete, wurde nicht beanstandet. Diese Aussage war nach einer Abmahnung erfolgt, in der die Antragstellerinnen erklärten, sie verwendeten ausschließlich Kalbsleder. Da die Produktbeschreibungen dennoch auf andere Tierarten hinwiesen, durfte die Antragsgegnerin diese Darstellung kritisieren.

Bedeutung für das Reputationsrecht und Online-Kritik

Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung für das Reputationsrecht:

  1. Grenzen der Kritik: Auch sehr harte, provokante oder emotionale Formulierungen sind unter dem Schutz der Meinungsfreiheit zulässig, solange ein sachlicher Kontext besteht.
  2. Schutz der Verbraucherinformation: Kritische Stimmen, insbesondere in gesellschaftlich relevanten Debatten wie Tierschutz oder Nachhaltigkeit, haben eine besondere Schutzwürdigkeit.
  3. Wahrheitsgehalt und Kontext: Entscheidend ist, ob eine Aussage tatsächliche Anknüpfungspunkte hat und ob sie aus dem Kontext heraus verstanden wird.
  4. Einschränkung des Unterlassungsanspruchs: Unternehmen müssen es hinnehmen, dass ihr Handeln öffentlich und mit scharfen Worten kritisiert wird.

Relevanz für Reputationsmanagement

Für Rechtsanwälte, die sich auf Reputationsschutz und die Entfernung negativer Äußerungen spezialisiert haben, bietet dieses Urteil wichtige Orientierung:

  • Nicht jede rufschädigende Aussage ist unzulässig.
  • Auch drastische Begriffe können als Meinung geschützt sein.
  • Es kommt entscheidend auf Kontext, Tatsachengrundlage und die Abgrenzung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung an.
  • Die Schwelle zur Schmähkritik wird nur bei rein persönlicher Diffamierung ohne sachlichen Bezug überschritten.

Fazit

Das Landgericht Hamburg hat mit seinem Beschluss vom 12. April 2023 ein deutliches Zeichen für die Meinungsfreiheit gesetzt. Selbst zugespitzte und überzogene Äußerungen, wie sie im Rahmen gesellschaftspolitischer Diskussionen fallen, genießen grundrechtlichen Schutz, wenn sie auf einem wahren Kern beruhen und im Kontext verständlich sind.

Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie mit Kritik leben müssen, sofern diese nicht ehrverletzend und tatsachenwidrig ist. Für die Praxis des Reputationsschutzes heißt das: Es braucht eine genaue juristische Prüfung jedes Einzelfalls. Wer effektiv gegen rechtswidrige Äußerungen vorgehen möchte, sollte zwischen polemischer Kritik und falscher Tatsachenbehauptung differenzieren.

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