wer kennt es nicht? Man steckt Herzblut und harte Arbeit in sein Geschäft, bemüht sich um jeden Kunden – und dann das: eine anonyme 1-Sterne-Bewertung auf einem großen Bewertungsportal, vielleicht sogar GoogleGoogle LLC ist ein US-amerikanisches Technologieunternehmen,... Mehr. Ohne Kommentar, ohne Erklärung. Einfach nur ein Stern, der den Notenschnitt nach unten zieht und potenzielle Neukunden abschreckt. Der Ärger ist groß, die Hilflosigkeit oft auch. Muss man das einfach so hinnehmen?
Die gute Nachricht vorweg: Nein, das müssen Sie nicht immer! Ein wegweisendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln (Az. 15 U 91/19 vom 26.06.2019) hat die Rechte von Gewerbetreibenden gegenüber Portalbetreibern bei solchen kommentarlosen Negativbewertungen deutlich gestärkt. Als Fachanwalt für IT-Recht möchte ich Ihnen heute dieses Urteil näherbringen und erklären, was es für Sie in der Praxis bedeutet.
Inhaltsverzeichnis
- Der Fall: Eine 1-Sterne-Bewertung ohne Worte und die Reaktion des Portals
- Die Wende vor dem OLG Köln: Mehr Verantwortung für Portalbetreiber
- Was bedeutet das Urteil für Ihre Praxis? Ein Leitfaden zum Handeln:
- Wichtig zu wissen: Die Grenzen des Urteils
- Fazit: Ein wichtiger Schritt für mehr Fairness im Netz
- Ungerechtfertigte 1-Sterne-Bewertungen: Fachanwalt hilft bundesweit!
Der Fall: Eine 1-Sterne-Bewertung ohne Worte und die Reaktion des Portals
Stellen Sie sich vor: Ein Handyreparatur-Fachgeschäft erhält auf einem Geolokalisierungsportal (denken Sie an Dienste wie Google Maps, auf denen Unternehmen bewertet werden können) eine reine 1-Sterne-Bewertung von einer Nutzerin „A“. Kein Text, kein Hinweis, was schiefgelaufen sein soll. Der Inhaber des Geschäfts konnte diese Nutzerin „A“ keinem Kundenvorgang zuordnen. Er vermutete eine unlautere Bewertung durch einen Konkurrenten oder jemanden, der seinem Geschäft schaden wollte.
Also tat er, was viele in dieser Situation tun würden: Er beschwerte sich beim Portalbetreiber. Er legte dar, dass er die Nutzerin nicht kenne und keine geschäftliche Beziehung zu ihr habe. Er bat um Löschung der Bewertung. Die Reaktion des Portals war jedoch ernüchternd: Man könne keinen offensichtlichen Rechtsverstoß erkennen und empfahl dem Inhaber, die Sache direkt mit der Bewerterin zu klären – eine oft unmögliche Aufgabe bei anonymen oder pseudonymen BewertungenBewertungen sind Rückmeldungen oder Beurteilungen von Produ... Mehr.
Das LandgerichtEin Landgericht ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbar... Mehr Köln wies die Klage des Unternehmers in erster Instanz ab. Die Begründung: Eine 1-Sterne-Bewertung sei eine MeinungsäußerungEine Meinungsäußerung ist die Verbalisierung oder schriftl... Mehr, die auch ohne Begründung zulässig sei. Solange kein konkreter, für das Portal „unschwer erkennbarer“ Rechtsverstoß vorliege, müsse das Portal nicht tätig werden. Für den Unternehmer eine bittere Pille.
Die Wende vor dem OLG Köln: Mehr Verantwortung für Portalbetreiber
Der Unternehmer ließ sich jedoch nicht entmutigen und ging in Berufung – mit Erfolg! Das OLG Köln sah die Sache grundlegend anders und verurteilte das Portal, die Bewertung zu löschen. Die Richter stellten klar, dass Portalbetreiber sehr wohl Pflichten haben, wenn sie mit substanziierten Beschwerden über potenziell rechtswidrige Bewertungen konfrontiert werden.
Schauen wir uns die Kernpunkte der Entscheidung genauer an:
- Was bedeutet eine kommentarlose 1-Sterne-Bewertung?
Das OLG Köln stellte fest, dass auch eine reine Sterne-Bewertung nicht im luftleeren Raum steht. Ein Durchschnittsleser versteht eine 1-Sterne-Bewertung für ein Unternehmen so, dass der Bewertende eine tatsächliche Erfahrung mit dem bewerteten Unternehmen gemacht hat und diese Erfahrung eben sehr negativ war. Es geht also nicht um eine vage Unsympathie, sondern um eine implizite Aussage über die Leistung oder den Service des Unternehmens.
Das Gericht sagte sinngemäß: Eine 1-Sterne-Bewertung suggeriert, dass es irgendeinen tatsächlichen Kontakt oder Bezugspunkt zum Unternehmen gegeben haben muss. Das kann ein Kauf sein, eine Dienstleistung, aber auch ein Informationsgespräch oder der Eindruck von den Geschäftsräumen. Wichtig ist: Es muss etwas Reales stattgefunden haben. - Wann muss das Portal handeln? Die „ausreichend konkrete Rüge“
Hier liegt einer der Knackpunkte. Das OLG Köln hat die Anforderungen an die Beschwerde des betroffenen Unternehmers (die sogenannte „Rüge“) präzisiert. Es reicht, wenn der Unternehmer plausibel darlegt, dass er den Bewerter keinem geschäftlichen Kontakt zuordnen kann und deshalb einen Rechtsverstoß vermutet (z.B. weil er keinen Kunden dieses Namens hatte oder die Bewertung ihm gänzlich unerklärlich ist).
Entscheidend ist: Der Unternehmer muss nicht von vornherein jede noch so abwegige Möglichkeit eines Kontakts ausschließen und widerlegen. Er muss nicht beweisen, dass der Bewerter „niemals auch nur am Schaufenster vorbeigegangen ist“ oder „nie von einem Dritten etwas Negatives über das Geschäft gehört hat“. Die Behauptung, keinen geschäftlichen Kontakt gehabt zu haben, und die Vermutung, dass die Bewertung unberechtigt ist (z.B. eine Fake-Bewertung), kann bereits ausreichen, um die Prüfpflicht des Portals auszulösen. Das OLG Köln hat hier die Hürden für betroffene Unternehmen also erfreulich niedrig angesetzt. - Die Prüfpflicht des Portalbetreibers: Nicht nur abwimmeln!
Sobald eine solche ausreichend konkrete Rüge vorliegt, ist der Portalbetreiber in der Pflicht. Er kann sich nicht einfach zurücklehnen und sagen: „Geht uns nichts an.“ Das OLG Köln betont die sogenannte „Störerhaftung“. Das bedeutet: Auch wenn das Portal die Bewertung nicht selbst geschrieben hat, kann es für deren Fortbestehen verantwortlich gemacht werden, wenn es nach einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung nicht angemessen reagiert.
Was heißt „angemessen reagieren“? Das Portal muss den Sachverhalt aufklären. Im Regelfall bedeutet das:- Es muss den Bewerter kontaktieren.
- Es muss ihn mit der Beschwerde des Unternehmers konfrontieren.
- Es muss den Bewerter auffordern, darzulegen, auf welcher tatsächlichen Erfahrung seine Bewertung beruht. Also: Wann, wo und wie kam der Kontakt zustande? Was genau ist vorgefallen?
- Das Schweigen des Bewerters geht zulasten des Portals
Und was passiert, wenn der Bewerter auf die Nachfrage des Portals nicht reagiert oder keine überzeugenden Belege für einen tatsächlichen Kontakt vorbringen kann? Dann, so das OLG Köln, muss die Bewertung im Zweifel gelöscht werden. Das Risiko, dass der Bewerter schweigt oder seine Bewertung nicht substantiieren kann, trägt dann nicht der zu Unrecht negativ bewertete Unternehmer, sondern der Portalbetreiber, der die Plattform für solche Bewertungen bereitstellt.
Das Gericht führt aus, dass der Portalbetreiber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Prozess dann das Vorhandensein eines tatsächlichen Anknüpfungspunktes für die Bewertung darlegen und beweisen müsste – was ihm ohne Rückmeldung des Bewerters kaum gelingen wird. - Abwägung: Meinungsfreiheit vs. Unternehmenspersönlichkeitsrecht
Natürlich spielt auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz) eine Rolle. Bewertungen sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber: Diese Freiheit ist nicht grenzenlos. Sie findet ihre Grenzen dort, wo Rechte Dritter verletzt werden – hier das Unternehmenspersönlichkeitsrecht oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Wenn eine Bewertung, wie hier die 1-Sterne-Bewertung, impliziert, es habe eine tatsächliche Erfahrung gegeben, diese Erfahrung aber gar nicht stattgefunden hat, dann beruht die „Meinung“ auf einer falschen Tatsachengrundlage. Eine solche unwahre TatsachenbehauptungEine Tatsachenbehauptung ist eine Aussage, die objektiv übe... Mehr (nämlich die Behauptung eines realen Kontakts, der zur Bewertung führte) ist nicht von der Meinungsfreiheit geschützt. Das OLG stellt klar: Ein berechtigtes Interesse, eine nicht stattgefundene tatsächliche Erfahrung willkürlich negativ zu bewerten, gibt es nicht. - Keine unzumutbare Belastung für Portalbetreiber
Die Portalbetreiber argumentieren oft, dass eine solche Prüfpflicht sie überfordern würde. Dem hat das OLG Köln eine Absage erteilt. Es sei den Portalen durchaus zumutbar, ein funktionierendes System zur Bearbeitung von Beschwerden vorzuhalten und im Einzelfall beim Bewerter nachzufragen. Wer ein Geschäftsmodell betreibt, das anonyme Bewertungen ermöglicht und damit von vornherein ein gewisses Missbrauchsrisiko schafft, muss auch die Konsequenzen tragen und für faire Verfahren sorgen.
Was bedeutet das Urteil für Ihre Praxis? Ein Leitfaden zum Handeln:
Dieses Urteil ist ein starkes Signal und gibt Ihnen als Unternehmer konkrete Ansatzpunkte, um gegen ungerechtfertigte, kommentarlose 1-Sterne-Bewertungen vorzugehen:
- Dokumentieren Sie alles: Sichern Sie einen Screenshot der Bewertung (mit Datum, Name des Bewerters, Portal). Prüfen Sie Ihre Unterlagen: Können Sie den Bewerter einem Vorgang zuordnen?
- Formulieren Sie eine präzise Beschwerde („Rüge“) an das Portal:
- Nennen Sie die genaue Bewertung (Link, Name des Bewerters, Datum).
- Legen Sie klar und substantiiert dar, warum Sie die Bewertung für rechtswidrig halten. Erklären Sie, dass Sie den Bewerter keinem Kundenkontakt oder sonstigen geschäftlichen Vorgang zuordnen können.
- Falls Sie einen konkreten Verdacht haben (z.B. Konkurrent, ehemaliger Mitarbeiter), können Sie diesen erwähnen, müssen es aber nicht zwingend. Wichtig ist die Behauptung des fehlenden tatsächlichen Leistungskontakts.
- Fordern Sie das Portal auf, den Sachverhalt zu prüfen, den Bewerter zur Stellungnahme aufzufordern (insbesondere zur Grundlage seiner Bewertung) und die Bewertung bei ausbleibender oder unzureichender Reaktion zu löschen.
- Setzen Sie eine angemessene Frist für die Reaktion (z.B. 7-14 Tage).
- Bleiben Sie hartnäckig: Lassen Sie sich nicht mit Standardantworten abwimmeln. Verweisen Sie gegebenenfalls auf das Urteil des OLG Köln (15 U 91/19).
- Die „Antwortfunktion“ des Portals ist oft nicht genug: Viele Portale bieten die Möglichkeit, auf Bewertungen öffentlich zu antworten. Das kann in manchen Fällen sinnvoll sein, um die eigene Sicht darzustellen. Es ersetzt aber nicht den Anspruch auf Löschung einer rechtswidrigen Bewertung. Das OLG Köln hat auch klargestellt, dass die bloße Möglichkeit zur Gegendarstellung eine Rechtsverletzung nicht beseitigt.
- Anwaltliche Hilfe suchen: Wenn das Portal nicht reagiert oder die Löschung verweigert, sollten Sie anwaltliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Ein auf IT-Recht oder Reputationsrecht spezialisierter Anwalt kann den Druck auf das Portal erhöhen, die Rechtslage fundiert darlegen und notfalls gerichtliche Schritte einleiten. Das Urteil zeigt, dass die Kosten für eine solche anwaltliche Abmahnung bei Erfolg vom Portalbetreiber erstattet werden müssen.
Wichtig zu wissen: Die Grenzen des Urteils
So positiv das Urteil ist, es ist kein Freifahrtschein zur Löschung jeder unliebsamen Bewertung:
- Echte, wenn auch kritische Meinungsäußerungen: Wenn ein Kunde tatsächlich eine negative Erfahrung gemacht hat und diese sachlich (wenn auch kritisch) schildert oder bewertet, wird eine Löschung schwierig. Die Meinungsfreiheit schützt auch überspitzte oder polemische Kritik, solange sie nicht in Schmähkritik umschlägt oder falsche Tatsachen enthält.
- Substantiierte Bewertungen: Wenn der Bewerter auf Nachfrage des Portals den Kontakt und seine negative Erfahrung nachvollziehbar darlegt, wird das Portal die Bewertung eher nicht löschen.
- Das Urteil betrifft primär kommentarlose 1-Sterne-Bewertungen bzw. solche, bei denen der tatsächliche Kontakt bestritten wird. Bei Bewertungen mit Textkommentar gelten zwar ähnliche Grundsätze bezüglich der Prüfpflicht, aber die Prüfung des Inhalts (Tatsachenbehauptung vs. Meinungsäußerung, Wahrheit von Tatsachenbehauptungen) wird komplexer.
Fazit: Ein wichtiger Schritt für mehr Fairness im Netz
Das Urteil des OLG Köln ist ein Meilenstein für alle Unternehmer, die sich gegen ungerechtfertigte und anonyme Rufschädigung im Internet wehren wollen. Es nimmt die Portalbetreiber stärker in die Verantwortung und erleichtert es, gegen kommentarlose Negativbewertungen ohne realen Hintergrund vorzugehen. Es zeigt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass die vielbeschworene Meinungsfreiheit nicht als Deckmantel für grundlose Herabwürdigungen dienen darf.
Nutzen Sie Ihre Rechte! Wenn Sie von einer solchen Bewertung betroffen sind, zögern Sie nicht, aktiv zu werden. Und wenn Sie dabei Unterstützung benötigen, stehen wir als spezialisierte Kanzlei Ihnen gerne zur Seite.
Ich hoffe, diese Erläuterungen waren für Sie verständlich und hilfreich. Bleiben Sie wachsam und verteidigen Sie Ihren guten Ruf!