Fachanwalt analysiert: OLG Hamburg Urteil zu Arbeitgeberbewertungen – Wann Portale anonyme Kritik löschen müssen

Heute tauchen wir tief ein in die spannende Welt der Online-Bewertungen – genauer gesagt, in die von Arbeitgeber-Bewertungsportalen. Als Fachanwalt für IT-Recht sehe ich täglich, wie das Internet die Spielregeln verändert, und das gilt ganz besonders für den Ruf von Unternehmen. Kürzlich hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) Hamburg eine Entscheidung getroffen (Az. 7 W 11/24 vom 08.02.2024), die für Arbeitgeber, aber auch für die Betreiber solcher Portale und sogar für bewertende (Ex-)Mitarbeiter wichtige Pflöcke einschlägt.

Nehmen wir uns einen Moment Zeit, denn dieses Urteil ist mehr als nur ein juristisches Papier – es ist ein Kompass für den Umgang mit digitaler Kritik im Arbeitskontext. Und glauben Sie mir, das Thema ist brisanter, als mancher denkt!

Worum ging’s eigentlich? Der Fall im Schnelldurchlauf

Stellen Sie sich vor, Sie sind Unternehmer. Sie haben ein Geschäft, vielleicht ein Ladengeschäft und einen Online-Vertrieb, so wie die Antragstellerin in diesem Fall, die rund 22 Mitarbeiter beschäftigt. Und dann entdecken Sie auf einer großen Arbeitgeber-Bewertungsplattform (wir alle kennen da ja ein paar Namen, auch wenn der konkrete hier nicht genannt wird) ziemlich unschöne Bewertungen über Ihre Firma. In diesem Fall ging es um zwei spezifische Einträge, die, sagen wir mal, nicht gerade Begeisterungsstürme auslösten. Titel wie „Startup abgebogen in die Perspektivlosigkeit“ oder „Vorsicht bei der Firmenwahl“ sprechen Bände.

Die Antragstellerin, also das bewertete Unternehmen, war der Meinung: Moment mal, diese Bewerter kennen wir gar nicht! Es gab keinen „geschäftlichen Kontakt“, wie es im Juristendeutsch heißt – sprich, die Firma bestritt, dass diese Personen jemals für sie gearbeitet hatten oder sich beworben hätten. Also forderte sie die Portalbetreiberin auf, die Dinger zu löschen.

Die Portalbetreiberin, ein Big Player mit über 5 Millionen Bewertungen zu über einer Million Unternehmen, sah das anders. Sie meinte, die Firma müsse schon genauer sagen, was an den Bewertungen falsch sei. Später, als das Ganze schon vor Gericht landete, kontaktierte das Portal die anonymen Bewerter. Diese lieferten wohl irgendwelche Unterlagen (vielleicht geschwärzte Arbeitsvertragsauszüge oder Ähnliches), die belegen sollten, dass sie tatsächlich mal bei der Firma angestellt waren. Diese anonymisierten „Beweise“ reichte das Portal an die Firma weiter.

Das Landgericht Hamburg sagte in erster Instanz noch: „Reicht doch! Die anonymisierten Nachweise deuten darauf hin, dass die Bewerter echt sind.“ Die Firma müsse jetzt nicht die ungeschwärzten Originale sehen.

Die Wende vor dem OLG Hamburg: Warum anonymisierte „Beweise“ nicht genug sind

Das OLG Hamburg sah die Sache aber ganz anders und gab der Firma Recht. Und hier wird es richtig interessant, denn das Gericht hat einige sehr klare Ansagen gemacht:

  1. Keine Extrawurst für Arbeitgeber-Bewertungsportale:
    Das Gericht stellte klar, dass die strengen Regeln, die der Bundesgerichtshof (BGH) für die Haftung von Bewertungsportalen (z.B. für Ärzte, Hotels) aufgestellt hat, auch uneingeschränkt für Arbeitgeber-Bewertungsportale gelten. Das bedeutet, diese Portale können sich nicht einfach zurücklehnen und sagen: „Wir sind ja nur die Plattform.“ Sie haben Pflichten!
  2. Der „Kein-Kontakt-Einwand“ ist stark:
    Wenn ein Unternehmen bestreitet, dass der Bewerter jemals Mitarbeiter oder Bewerber war, ist das ein gewichtiger Grund, die Löschung zu verlangen. Das Unternehmen muss dann nicht erst jede einzelne Behauptung in der Bewertung widerlegen. Die Kernfrage ist: Gab es überhaupt eine Grundlage für die Bewertung durch diese Person?
  3. Die Crux: Identifizierung des Bewerters ist entscheidend!
    Das ist der Knackpunkt des Urteils und eine echte Stärkung für bewertete Unternehmen. Das OLG sagt: Es reicht nicht, wenn das Portal dem Unternehmen nur anonymisierte „Beweise“ vorlegt. Das Unternehmen muss in die Lage versetzt werden, selbst zu überprüfen, ob es diesen Bewerter tatsächlich gab. Wie soll ein Unternehmen denn nachprüfen, ob „Max Mustermann aus Musterstadt, tätig von X bis Y“ wirklich dort gearbeitet hat, wenn es nur einen geschwärzten Wisch bekommt, auf dem vielleicht noch nicht mal ein Name oder ein klarer Zeitraum erkennbar ist?
    Das Gericht formuliert es so: Der Portalbetreiber muss den Bewerter dem Bewerteten gegenüber so individualisieren, dass dieser das Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes überprüfen kann.
    Stellen Sie sich das vor: Sie bekommen einen anonymen Brief mit schweren Vorwürfen. Sie fragen den Überbringer (das Portal), wer das geschrieben hat. Der sagt: „Hab ich geprüft, ist schon okay so, aber wer’s war, sag ich dir nicht genau.“ Das kann’s nicht sein, oder? Genau das hat das OLG hier klargestellt.
  4. Datenschutz ist kein Freifahrtschein für Portale:
    Das Portal hatte argumentiert, es könne die Bewerter aus Datenschutzgründen nicht einfach so namhaft machen. Das OLG ließ das nicht gelten. Wenn das Portal eine Bewertung online halten will, obwohl der Bewertete den Kontakt bestreitet, dann muss es eben dafür sorgen, dass der Bewertete die Identität (zumindest in ausreichendem Maße für eine interne Prüfung) erfährt. Kann oder will das Portal das nicht (z.B. weil der Bewerter nicht zustimmt, dass seine Identität dem Ex-Arbeitgeber für diese Prüfung offengelegt wird), dann trägt das Portal das Risiko. Im Zweifel muss die Bewertung dann eben runter. Das Gericht deutet an: Die Verbreitung von Äußerungen, deren Rechtmäßigkeit nur überprüft werden kann, wenn der Urheber bekannt ist, geht im Streitfall zulasten des Verbreiters (des Portals).
  5. Massenhaftes Vorgehen gegen Bewertungen ist nicht automatisch Rechtsmissbrauch:
    Die Portalbetreiberin hatte moniert, die Firma habe über ihre Anwälte (die wohl dafür bekannt sind, gegen Portalbewertungen vorzugehen) gleich eine ganze Reihe von Bewertungen angegriffen. Das OLG winkte ab: Nur weil ein Unternehmen viele Bewertungen beanstandet oder sich dafür spezialisierte Anwälte nimmt, ist das noch lange kein Rechtsmissbrauch. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass tatsächlich viele ungerechtfertigte Bewertungen auf einem Portal stehen. Jede Rüge muss einzeln geprüft werden.

Was bedeutet das konkret in der Praxis? Ein Blick aus der Anwaltsbrille

Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen. Lassen Sie uns das mal aufdröseln:

  • Für Arbeitgeber (die Bewerteten):
    • Sie sind nicht schutzlos: Wenn Sie eine Bewertung erhalten und ernsthafte Zweifel haben, dass der Verfasser jemals bei Ihnen beschäftigt war oder sich beworben hat, können Sie aktiv werden.
    • Der erste Schritt: Fordern Sie das Portal auf, die Bewertung zu entfernen, und begründen Sie dies damit, dass Ihnen der Bewerter unbekannt ist und kein Arbeits- oder Bewerbungsverhältnis zuzuordnen ist.
    • Die Reaktion des Portals abwarten: Das Portal muss nun den Bewerter kontaktieren und um einen Nachweis bitten.
    • Prüfung des Nachweises: Hier wird’s spannend. Wenn das Portal Ihnen dann nur anonymisierte Unterlagen schickt, aus denen Sie den Bewerter nicht eindeutig identifizieren können, um Ihre eigenen Personalunterlagen zu prüfen, dann reicht das nach Ansicht des OLG Hamburg nicht aus. Sie können dann weiterhin auf Löschung bestehen.
    • Beispiele für unzureichende Anonymisierung: Ein Arbeitsvertrag, bei dem Name, Adresse, Geburtsdatum und genauer Beschäftigungszeitraum geschwärzt sind, sodass keine Zuordnung möglich ist. Oder eine anonyme E-Mail-Adresse als „Nachweis“.
    • Wichtig: Es geht hier nicht darum, jede kritische Bewertung loszuwerden. Es geht um Bewertungen von Personen, deren Existenz als (Ex-)Mitarbeiter oder Bewerber Sie berechtigt anzweifeln.
  • Für Arbeitgeber-Bewertungsportale:
    • Erhöhte Prüfpflichten: Portale müssen ihre Prozesse zur Überprüfung von Beanstandungen verschärfen. Ein einfaches „Wir haben den Bewerter gefragt, er sagt, es stimmt“ reicht nicht.
    • Transparenz gegenüber dem Bewerteten: Sie müssen dem bewerteten Unternehmen genügend Informationen an die Hand geben, damit dieses eine eigene Überprüfung vornehmen kann. Das bedeutet, die Anonymisierung der Nachweise darf nicht so weit gehen, dass eine Identifizierung für den Arbeitgeber unmöglich wird.
    • Das Risiko liegt beim Portal: Wenn der Bewerter nicht bereit ist, seine Identität (in dem für die Prüfung erforderlichen Umfang) preiszugeben, oder wenn die vorgelegten Nachweise auch nach Aufforderung durch das Portal nicht aussagekräftig genug sind, um vom Arbeitgeber verifiziert zu werden, muss das Portal die Bewertung im Zweifel löschen.
    • Datenschutz vs. Persönlichkeitsrecht: Das OLG stellt klar, dass Datenschutzinteressen des Bewerters nicht pauschal über den Rechten des bewerteten Unternehmens stehen, sich gegen unberechtigte Behauptungen zu wehren. Es ist eine Abwägung, bei der die Möglichkeit zur Verifizierung eine zentrale Rolle spielt.
  • Für (Ex-)Mitarbeiter und Bewerber (die Bewertenden):
    • Ehrlichkeit währt am längsten: Schreiben Sie nur Bewertungen, wenn Sie auch tatsächlich eine Erfahrung mit dem Unternehmen gemacht haben (Anstellung, Bewerbung etc.).
    • Seien Sie sich bewusst: Ihre Anonymität ist nicht absolut. Wenn der Arbeitgeber Ihre Bewertung anzweifelt und einen fehlenden Kontakt geltend macht, muss das Portal Sie kontaktieren. Sie müssen dann dem Portal gegenüber nachweisen, dass Sie z.B. dort gearbeitet haben. Und diese Informationen (in einer Form, die dem Arbeitgeber eine Prüfung erlaubt) müssen dann weitergegeben werden können, wenn die Bewertung online bleiben soll.
    • Konsequenzen: Wenn Sie keinen Nachweis erbringen (können oder wollen), wird Ihre Bewertung wahrscheinlich gelöscht. Es geht hier um die Balance zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz vor falschen oder nicht zuzuordnenden Behauptungen.

Die „Störerhaftung“ von Portalbetreibern – kurz erklärt

Im Hintergrund dieser Entscheidung schwingt immer das Prinzip der „Störerhaftung“ mit. Was heißt das? Ein Portalbetreiber ist zwar nicht der Autor der Bewertung, aber er stellt die Plattform bereit. Wenn er von einer Rechtsverletzung (z.B. einer unwahren Tatsachenbehauptung oder einer Bewertung von jemandem, der nie dort gearbeitet hat) Kenntnis erlangt, muss er handeln. Er muss prüfen und gegebenenfalls löschen. Tut er das nicht oder nicht ausreichend, kann er selbst haften. Das OLG Hamburg hat hier die Prüfpflichten konkretisiert: Die Prüfung muss so erfolgen, dass der Bewertete auch eine Chance hat, die Behauptung des Kontakts zu verifizieren.

Warum ist diese Entscheidung so wichtig?

Das OLG Hamburg stärkt die Position von Unternehmen, die sich gegen möglicherweise fingierte oder nicht zuzuordnende Bewertungen wehren wollen. Es betont, dass Anonymität im Netz nicht dazu führen darf, dass Unternehmen schutzlos Behauptungen ausgesetzt sind, ohne die Möglichkeit einer echten Überprüfung.

Gleichzeitig zwingt es die Portale, ihre Prozesse transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Die Zeiten, in denen man sich hinter pauschalen Behauptungen oder stark anonymisierten „Beweisen“ verstecken konnte, scheinen vorbei zu sein – zumindest, wenn es nach dem OLG Hamburg geht.

Es ist ein Schritt hin zu mehr Fairness im digitalen Raum. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber sie endet dort, wo die Rechte anderer unverhältnismäßig verletzt werden. Und das Recht eines Unternehmens, nicht mit unklaren oder unüberprüfbaren Vorwürfen konfrontiert zu werden, die seinen Ruf schädigen können, ist ein solches schützenswertes Recht.

Was können Sie als Unternehmer jetzt tun? Meine Tipps:

  1. Monitoring: Behalten Sie die gängigen Bewertungsportale im Auge. Richten Sie sich Alerts ein, falls möglich.
  2. Dokumentation: Wenn Sie eine verdächtige Bewertung finden, machen Sie Screenshots, notieren Sie Datum und URL.
  3. Präzise Beanstandung: Wenn Sie den Bewerber nicht zuordnen können, formulieren Sie Ihre Rüge an das Portal klar und deutlich: Bestreiten Sie den geschäftlichen Kontakt (Arbeitsverhältnis, Bewerbung etc.) mit dem Verfasser. Fordern Sie das Portal auf, Ihnen die Identität des Verfassers so weit offenzulegen, dass Sie eine interne Prüfung vornehmen können.
  4. Hartnäckig bleiben: Lassen Sie sich nicht mit vagen Antworten oder unzureichend anonymisierten „Beweisen“ abspeisen. Verweisen Sie auf die aktuelle Rechtsprechung (z.B. dieses Urteil des OLG Hamburg).
  5. Anwaltliche Hilfe: Wenn das Portal nicht reagiert oder die Löschung verweigert, obwohl Sie den Bewerter nicht identifizieren können, ziehen Sie einen spezialisierten Anwalt hinzu. Oft bewegt ein anwaltliches Schreiben mehr.

Fazit: Ein wichtiges Signal für mehr Verantwortung im Netz

Das Urteil des OLG Hamburg ist ein Weckruf. Es zeigt, dass die Justiz die Herausforderungen der digitalen Welt ernst nimmt und versucht, eine Balance zwischen den verschiedenen Interessen zu finden. Für Arbeitgeber bedeutet es mehr Handhabe gegen dubiose Bewertungen. Für Portale bedeutet es mehr Verantwortung. Und für Bewerter bedeutet es, dass sie zwar kritisch, aber immer auf einer belegbaren Grundlage bewerten sollten.

Es bleibt spannend, wie sich diese Rechtsprechung weiterentwickeln wird und wie die großen Portalbetreiber darauf reagieren. Aber eines ist klar: Die digitale Visitenkarte eines Unternehmens wird immer wichtiger, und der Kampf um einen fairen und wahrheitsgemäßen Ruf im Netz hat gerade eine neue, wichtige Episode erlebt.

Wenn Sie als Unternehmer von negativen, nicht nachvollziehbaren Bewertungen betroffen sind oder als Portalbetreiber Ihre Prozesse rechtssicher gestalten wollen, stehe ich Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite. Denn im Dschungel des IT-Rechts ist ein guter Navigator Gold wert!

OLG Hamburg Urteil zu Arbeitgeberbewertungen

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