Achtung, Online-Händler (und Bewerter!): Wenn aus einer Kundenbewertung ein Rechtsstreit wird – Das OLG München Urteil im Klartext

Hand aufs Herz: Wer von Ihnen liest keine Online-Bewertungen, bevor er ein Produkt kauft oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt? Eben. In unserer digitalisierten Welt sind Kundenrezensionen zu einer mächtigen Währung geworden. Sie können über Erfolg oder Misserfolg eines Online-Shops, eines Restaurants oder eines Handwerkers mitentscheiden. Doch was passiert, wenn eine Bewertung nicht nur negativ, sondern schlichtweg falsch ist und den Ruf eines Unternehmens schädigt? Genau mit dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht (OLG) München in einem bemerkenswerten Fall auseinandersetzen (Az. 18 U 1022/14). Das Urteil vom 28. Oktober 2014 ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber seine Relevanz ist ungebrochen – vielleicht heute mehr denn je.

Als Fachanwalt für IT-Recht begegnen mir solche Fälle immer wieder. Unternehmer, die sich gegen ungerechtfertigte Kritik wehren wollen, und manchmal auch Bewerter, die überrascht sind, dass ihre Worte rechtliche Konsequenzen haben können. Deshalb möchte ich Ihnen dieses Urteil heute einmal genauer vorstellen – und zwar so, dass Sie es auch ohne juristisches Staatsexamen verstehen. Denn die Kernaussagen sind für jeden relevant, der im Internet kauft, verkauft oder bewertet.

Der Fall: Ein Bootszubehör, ein kritischer Kunde und ein eBay-Drama

Stellen Sie sich vor, Sie verkaufen über eBay Bootszubehör. Ein Kunde kauft bei Ihnen eine „Halterung für Bimini mit Schnellverschluss Befestigung Reling Edelstahl Neu“. Klingt spezifisch, ist es auch. Kurz darauf prangt in Ihrem Bewertungsprofil eine negative Bewertung („-„) mit dem Kommentar: „Die Gewinde mussten wegen Schwergängigkeit nachgeschnitten werden.“ Autsch. Das klingt nicht nur nach einem mangelhaften Produkt, sondern wirft auch ein schlechtes Licht auf Sie als Verkäufer. Potenzielle Neukunden könnten abgeschreckt werden.

Genau das ist dem Kläger in unserem Fall passiert. Er sah sich durch diese Bewertung in seinem unternehmerischen Ruf geschädigt und zog vor Gericht. Er verlangte vom Beklagten, also dem bewertenden Kunden, der Entfernung dieser Bewertung zuzustimmen.

Das Landgericht München II wies die Klage zunächst ab. Doch der Kläger gab nicht auf und ging in Berufung – mit Erfolg, wie wir sehen werden.

Die Knackpunkte: Was das Gericht zu prüfen hatte

Das OLG München musste nun eine ganze Reihe juristischer Fragen klären. Keine Sorge, ich erspare Ihnen die Paragraphen-Reiterei im Detail, aber die Grundzüge sind wichtig:

  1. Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung? Das ist oft die Gretchenfrage im Äußerungsrecht. Eine Tatsachenbehauptung ist dem Beweis zugänglich (stimmt oder stimmt nicht). Eine Meinungsäußerung ist ein Werturteil, ein Dafürhalten, das vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Grundgesetz) besonders stark geschützt ist.
  2. Wenn Tatsache, ist sie wahr? Wenn es eine Tatsachenbehauptung ist, musste geklärt werden, ob sie denn auch der Wahrheit entspricht.
  3. Wenn unwahr, verletzt sie Rechte? Eine unwahre Tatsachenbehauptung kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 und 2 Grundgesetz) oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzen.
  4. Was ist mit der negativen Note („-„)? Ist das eine reine Meinung, die auch dann stehen bleiben darf, wenn der Kommentar gelöscht werden muss?
  5. Hätte der Kunde anders handeln müssen? Spielt es eine Rolle, dass der Kunde die Gewinde selbst nachgeschnitten hat, ohne dem Verkäufer vorher eine Chance zur Nachbesserung zu geben?

Die Entscheidung des OLG München – Eine Ohrfeige für voreilige Bewerter

Das OLG München hat die Sache erfreulich klar und für uns alle nachvollziehbar aufgedröselt.

  • Der Kommentar ist eine Tatsachenbehauptung: Die Aussage „Die Gewinde mussten wegen Schwergängigkeit nachgeschnitten werden“ ist nach Ansicht des Gerichts keine reine Meinungsäußerung. Ein „unvoreingenommener und verständiger Leser“ versteht das so, dass das Produkt einen Mangel hatte. Es geht hier nicht um Geschmack (wie beim Nachsalzen einer Suppe, ein Beispiel, das der Beklagte anführte), sondern um die objektive Funktionsfähigkeit eines technischen Bauteils. Das Wort „mussten“ impliziert eine Notwendigkeit, keine freiwillige Verbesserung. Das Gericht sah hier also klar eine Tatsachenbehauptung über die Beschaffenheit der Ware.
  • Die Wahrheit der Behauptung – ein Problem für den Bewerter: Jetzt wird es spannend. Wer muss was beweisen? Grundsätzlich muss derjenige, der eine rufschädigende Tatsachenbehauptung aufstellt, deren Wahrheit beweisen. Der Beklagte behauptete, die Gewinde seien mangelhaft gewesen. Er hätte dies also belegen müssen.
    Doch hier kam ein entscheidender Punkt hinzu: Der Beklagte hatte die Gewinde selbst nachgeschnitten! Er argumentierte, er habe dies wegen einer anstehenden Bootstour schnell selbst erledigen müssen. Damit hatte er aber den ursprünglichen Zustand des Produkts verändert. Er hatte, juristisch gesprochen, das Beweismittel vernichtet oder zumindest verändert. Das Gericht sah darin eine „Vereitelung der Beweisführung“ durch den Beklagten. Die Konsequenz: Es wurde zugunsten des Klägers unterstellt, dass eine Untersuchung der Halterungen keinen Mangel ergeben hätte. Man könnte auch sagen: Wer Beweise unzugänglich macht, darf sich nicht wundern, wenn das Gericht ihm nicht glaubt.
    Der Beklagte konnte also nicht nachweisen, dass seine Behauptung wahr war. Mehr noch, durch sein eigenes Handeln wurde es unmöglich, den ursprünglichen Zustand zu überprüfen.
  • Unwahrheit führt zur Rechtswidrigkeit: Da die Tatsachenbehauptung als unwahr galt (oder zumindest nicht als wahr bewiesen werden konnte und der Beweis vereitelt wurde), verletzte sie das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt unwahre Tatsachenbehauptungen nicht, wenn sie in Rechte anderer eingreifen.
  • Und was ist mit der Note „-„? Das Gericht sah die negative Note („-„) zwar als Werturteil und damit als Meinungsäußerung an. Aber: Diese Meinung basierte laut Gericht ausschließlich auf der unwahren Tatsachenbehauptung bezüglich der Gewinde. Wenn die Tatsachengrundlage einer Meinung wegfällt, weil sie unwahr ist, dann kann auch die darauf basierende Meinung rechtswidrig sein und muss entfernt werden. Das ist ein wichtiger Punkt: Eine Meinung steht nicht im luftleeren Raum. Wenn sie sich auf falsche Fakten stützt, ist sie angreifbar. Das Gericht formulierte es so, dass das Werturteil mit der Tatsachenbehauptung „steht und fällt“.
  • Vertragliche Pflichten nicht vergessen: Das Gericht führte auch an, dass der Beklagte als Käufer vertragliche Schutzpflichten gegenüber dem Kläger als Verkäufer hatte. Dazu gehört auch, keine rufschädigenden, unwahren Behauptungen aufzustellen. Durch die unwahre Bewertung hat er diese Pflichten verletzt.

Das Ergebnis: Bewertung muss weg, Kosten muss der Bewerter tragen

Das OLG München verurteilte den Beklagten, der Entfernung der negativen Bewertung samt Kommentar zuzustimmen. Außerdem musste der Beklagte dem Kläger die vorgerichtlichen Anwaltskosten erstatten (hier: 411,30 Euro). Ein klarer Sieg für den Online-Händler.

Was bedeutet das Urteil für Sie als Online-Händler?

  1. Sie sind nicht schutzlos: Dieses Urteil ist ein wichtiges Signal. Sie müssen sich nicht jede unwahre Behauptung in einer Bewertung gefallen lassen.
  2. Dokumentation ist alles: Versuchen Sie, den Zustand Ihrer Ware vor Versand zu dokumentieren, wo immer es sinnvoll und möglich ist (z.B. bei teuren Einzelstücken).
  3. Fordern Sie zur Stellungnahme auf: Wenn eine potenziell unwahre Tatsachenbehauptung in einer Bewertung auftaucht, fordern Sie den Bewerter (wenn identifizierbar) oder die Plattform zur Entfernung auf und legen Sie Ihre Sicht der Dinge dar.
  4. Der Weg zum Anwalt kann sich lohnen: Wie dieser Fall zeigt, kann anwaltliche Hilfe entscheidend sein, um Ihr Recht durchzusetzen.
  5. Prüfen Sie die Beweislast: Wenn ein Kunde behauptet, ein Produkt sei mangelhaft, liegt die Beweislast für die Wahrheit dieser Behauptung oft beim Kunden, insbesondere wenn er das Produkt verändert hat.

Was bedeutet das Urteil für Sie als Kunde und Bewerter?

  1. Bleiben Sie bei der Wahrheit: Das ist die goldene Regel. Behaupten Sie nichts, was Sie nicht beweisen können. Wenn Sie schreiben „musste nachgeschnitten werden“, impliziert das einen objektiven Mangel.
  2. Unterscheiden Sie Fakten und Meinungen: „Das Gewinde war schwergängig“ ist eine (potenzielle) Tatsachenbehauptung. „Ich bin unzufrieden mit der Schwergängigkeit“ ist eher eine Meinung, aber auch die kann problematisch sein, wenn die zugrundeliegende Tatsache nicht stimmt. „Das Design gefällt mir nicht“ ist eine klare Meinungsäußerung.
  3. Geben Sie dem Verkäufer eine Chance: Bevor Sie eine negative Bewertung abgeben, die einen Produktmangel behauptet, kontaktieren Sie den Verkäufer. Geben Sie ihm die Möglichkeit zur Nachbesserung oder zum Umtausch. Das ist nicht nur fair, sondern oft auch gesetzlich vorgesehen (Stichwort: Gewährleistungsrecht). Im vorliegenden Fall wäre dem Kunden wohl nichts passiert, hätte er den Verkäufer kontaktiert und wäre dann (falls keine Lösung gefunden worden wäre) mit seiner Bewertung an die Öffentlichkeit gegangen.
  4. Vorsicht bei Selbstvornahme: Wenn Sie ein Produkt eigenmächtig verändern (wie hier das Nachschneiden der Gewinde), kann das Ihre Rechtsposition erheblich schwächen – sowohl was Gewährleistungsansprüche angeht, als auch bei der Beweisführung für eine Bewertungsbehauptung.
  5. Bewertungen sind kein rechtsfreier Raum: Ihre Worte haben Gewicht und können Konsequenzen haben. Eine schnell getippte, ärgerliche Bewertung kann teuer werden, wenn sie unwahre Tatsachen enthält.

Die Gratwanderung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz

Es ist wichtig zu betonen: Dieses Urteil bedeutet nicht, dass jede negative Bewertung unzulässig ist. Kritik, auch scharfe Kritik, ist erlaubt und wichtig. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber sie hat Grenzen, und eine dieser Grenzen ist erreicht, wenn unwahre Tatsachen behauptet werden, die andere in ihren Rechten verletzen.

Das OLG München hat hier eine Abwägung vorgenommen: Auf der einen Seite das Recht des Kunden auf freie Meinungsäußerung, auf der anderen Seite das Persönlichkeitsrecht des Verkäufers und sein Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen kippt die Waage regelmäßig zugunsten des Betroffenen. Denn, so das Gericht und ständige Rechtsprechung: „Unrichtige Informationen sind nämlich keine schützenswerte Basis für die öffentliche Meinungsbildung.“ Ein Satz, den man sich merken sollte.

Ein Blick über den Tellerrand: Die Rolle der Plattformen

Interessant ist auch, wie eBay (oder andere Plattformen) in solchen Fällen agieren. Oftmals verlangen sie für die Löschung einer Bewertung entweder die Zustimmung des Bewertenden oder eben ein Gerichtsurteil. Das ist aus Sicht der Plattformen verständlich, da sie nicht vorschnell in die Meinungsfreiheit eingreifen wollen. Für Betroffene bedeutet das aber oft den mühsamen Weg über eine Abmahnung oder gar eine Klage.

Fazit: Fairness und Wahrheit als Maßstab

Das Urteil des OLG München ist ein Lehrstück darüber, wie wichtig es ist, bei Online-Bewertungen sorgfältig und wahrheitsgemäß vorzugehen. Es stärkt die Position von Online-Händlern gegenüber ungerechtfertigten, auf falschen Tatsachen beruhenden Bewertungen. Gleichzeitig mahnt es Bewertende zur Vorsicht und erinnert daran, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist.

Für mich als Anwalt zeigt der Fall einmal mehr, wie eng das IT-Recht mit ganz alltäglichen Vorgängen im Online-Handel verwoben ist. Es geht um Grundrechte, um Vertragsrecht, um Deliktsrecht – alles verpackt in einem scheinbar simplen eBay-Bewertungskommentar.

Wenn Sie als Unternehmer von einer rufschädigenden, unwahren Bewertung betroffen sind oder als Bewerter unsicher sind, was Sie schreiben dürfen, scheuen Sie sich nicht, Rechtsrat einzuholen. Oft lassen sich Konflikte schon im Vorfeld vermeiden oder außergerichtlich klären. Und manchmal, wie dieser Fall zeigt, ist auch der Gang vor Gericht notwendig, um sein Recht zu bekommen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen faire Geschäfte und ehrliche Bewertungen!

OLG München Kundenbewertung

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Rechtsanwalt Thomas Feil
Rechtsanwalt
Thomas Feil

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