Online-Bewertungen: Was Sie WIRKLICH dürfen (und müssen!)

Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal eine Online-Bewertung gelesen, bevor Sie ein Produkt gekauft, ein Restaurant besucht oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen haben? Wahrscheinlich ist es noch nicht allzu lange her. Online-Bewertungen sind aus unserem digitalen Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie sind eine mächtige Waffe – für Kunden, die ihre Erfahrungen teilen wollen, und für Unternehmen, deren Ruf davon abhängen kann.

Doch was passiert, wenn eine Bewertung aus dem Ruder läuft? Wenn harte Kritik geäußert wird, die vielleicht nicht ganz den Tatsachen entspricht? Oder wenn Unternehmen versuchen, das Bewertungssystem zu ihren Gunsten zu manipulieren? Genau mit diesen spannenden Fragen hat sich kürzlich das Landgericht Frankenthal in einem Urteil vom 22. Mai 2023 (Az. 6 O 18/23) auseinandergesetzt. Als Fachanwalt für IT-Recht, der täglich mit den Tücken des Internets und den Rechten von Nutzern und Unternehmen zu tun hat, möchte ich Ihnen dieses Urteil einmal genauer unter die Lupe nehmen. Denn es enthält wichtige Lektionen für jeden, der Bewertungen schreibt oder erhält.

Der Fall: Ein Umzug, eine schlechte Bewertung und ein Streit vor Gericht

Stellen Sie sich vor: Sie ziehen um. Stress pur, Kisten schleppen, Möbel aufbauen. Am Ende des Tages sind Sie froh, wenn alles heil am neuen Ort angekommen ist. Im vorliegenden Fall beauftragte ein Kunde (der spätere Beklagte) ein Umzugsunternehmen (den späteren Kläger) mit seinem Umzug. Soweit, so normal. Am Ende des Umzugs unterzeichnete der Kunde ein „Abnahmeprotokoll“, in dem er bestätigte, dass die transportierten Gegenstände kontrolliert und intakt seien.

Einige Monate später tauchte dann aber eine 1-Stern-Bewertung des Kunden auf Google auf. Der Inhalt hatte es in sich:

  1. Es sei ein Schaden an einem Möbelstück entstanden.
  2. Dieser Schaden sei, entgegen einer Zusage des Unternehmens, nicht nachträglich repariert worden.
  3. Dem Kunden sei Geld für eine Bewertung angeboten worden, die er „vor dem Vorgesetzer / Eigentümer der Firma“ hätte schreiben müssen. Dies schade der Glaubwürdigkeit der Bewertungen.

Das Umzugsunternehmen sah seinen Ruf geschädigt und zog vor Gericht. Es verlangte die Unterlassung dieser Behauptungen und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die Entscheidung des Gerichts: Ein zweigeteiltes Urteil

Das Landgericht Frankenthal fällte eine differenzierte Entscheidung, die man sich genau ansehen muss:

  • Behauptung 1 & 2 (Schaden und nicht erfolgte Reparatur): Hier gab das Gericht dem Umzugsunternehmen Recht. Der Kunde musste diese Teile seiner Bewertung löschen bzw. durfte sie so nicht mehr verbreiten.
  • Behauptung 3 (Geld für Bewertung vor dem Chef): Hier bekam der Kunde Recht. Diese Aussage durfte stehen bleiben.
  • Anwaltskosten: Das Umzugsunternehmen bekam seine vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht erstattet.

Warum diese Aufteilung? Das ist der Kern des Urteils und hier wird es juristisch interessant – aber keine Sorge, ich erkläre es verständlich.

Teil 1: Der angebliche Schaden – Wer muss was beweisen?

Das Gericht hat hier einen ganz wichtigen Grundsatz des Bewertungsrechts bestätigt, der in Leitsatz 1 des Urteils zusammengefasst ist:
„Wer in einem Online-Bewertungsportal negative Tatsachen zulasten eines Unternehmens behauptet, muss im Zweifel beweisen, dass diese Fakten auch zutreffend sind. Gelingt der Beweis nicht, so kann der Betroffene verlangen, dass die Bewertung unterlassen wird.“

Das ist ein Knackpunkt, den viele Bewerter nicht kennen! Normalerweise gilt: Wer etwas behauptet, muss es beweisen. Wenn ein Unternehmen aber eine negative Tatsachenbehauptung in einer Bewertung als unwahr angreift, kehrt sich die Beweislast oft um. Dann muss der Bewerter nachweisen, dass seine Behauptung stimmt.

Im konkreten Fall konnte der Kunde nicht ausreichend beweisen, dass:

  • der Schaden tatsächlich vom Umzugsunternehmen verursacht wurde UND
  • eine konkrete Zusage zur Reparatur gegeben wurde, die dann nicht eingehalten wurde.

Zwar gab es Zeugenaussagen, aber das Gericht war nicht vollends überzeugt. Der Kunde hatte zwar ein Abnahmeprotokoll unterzeichnet, auf dem stand, alles sei intakt. Er gab später an, den Schaden (ein 20-30 cm langer Kratzer auf einer Kommode) erst später entdeckt zu haben. Das Gericht fand es aber schwer nachvollziehbar, dass ein solcher Schaden bei einer 10-15-minütigen Inspektion übersehen wird, zumal der Kunde anscheinend schon während des Umzugs ein lautes Geräusch gehört hatte, das auf einen Schaden hindeutete.

Die Angaben des Klägers (Umzugsunternehmen) waren zwar auch nicht immer widerspruchsfrei, aber letztlich blieb ein sogenanntes „non liquet“ – es war nicht eindeutig aufklärbar. Und dieses „Nicht-Aufklärbar-Sein“ geht zulasten desjenigen, der die negative Tatsache behauptet und beweisen muss – hier also des Kunden.

Was lernen wir daraus für unsere eigenen Bewertungen?

  • Tatsachenbehauptungen müssen stimmen: Wenn Sie schreiben „Das Essen war kalt“ oder „Die Lieferung kam drei Wochen zu spät“, sind das Tatsachenbehauptungen. Seien Sie sich sicher, dass diese stimmen und Sie sie im Zweifel auch belegen können (z.B. durch Fotos, Zeugen, Bestellbestätigungen mit Lieferdatum).
  • Meinungsäußerungen sind freier: Wenn Sie schreiben „Das Essen hat mir nicht geschmeckt“ oder „Der Service war unfreundlich“, ist das eine Meinungsäußerung. Diese sind durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz) weitgehend geschützt, solange sie nicht beleidigend, schmähkritisch oder vulgär werden.
  • Vorsicht bei schweren Vorwürfen: Je schwerwiegender der Vorwurf, desto genauer wird hingeschaut. Behauptungen, die geeignet sind, den Ruf eines Unternehmens erheblich zu schädigen, müssen wasserdicht sein.

Teil 2: Das „Geld für die Bewertung“ – Eine ganz andere Baustelle

Bei der dritten Behauptung des Kunden sah die Sache anders aus. Hier durfte die Bewertung stehen bleiben. Warum?

Der Kunde hatte behauptet, ihm sei „Geld für eine Bewertung angeboten“ worden, die er „vor dem Vorgesetzer / Eigentümer der Firma schreiben“ musste. Das Umzugsunternehmen räumte selbst ein, dass es Kunden einen „XXX-Gutschein“ anbietet, wenn diese unmittelbar am Tag des Umzugs, also noch in Anwesenheit der Mitarbeiter, eine Bewertung abgeben. Der Grund sei, so das Unternehmen, dass man auf negative Bewertungen sofort reagieren und so die Kundenzufriedenheit steigern könne.

Das Gericht sah hier die Behauptung des Kunden im Kern als wahr an. Leitsatz 2 des Urteils sagt dazu:
„Einen geldwerten Vorteil für den Fall einer Bewertung verspricht auch derjenige, der für die Abgabe der Bewertung einen XXX-Gutschein anbietet.“

Ob es nun Bargeld oder ein Gutschein war, spielte für das Gericht keine entscheidende Rolle. Beides ist ein „geldwerter Vorteil“. Auch die Formulierung „vor dem Vorgesetzer“ wertete das Gericht als im Kern zutreffend, da die Bewertung ja in Anwesenheit der Mitarbeiter (die den „Vorgesetzten“ repräsentieren) erfolgen sollte.

Das Gericht führte aus, dass ein solches Vorgehen geeignet sei, einen gewissen Druck auf Kunden auszuüben, keine negative Bewertung abzugeben, insbesondere wenn dafür ein Vorteil winkt. Die Äußerung des Kunden, „Das schadet meiner Ansicht nach die Glaubwürdigkeit der Bewertungen“, wurde als zulässige Meinungsäußerung eingestuft, die auf einem wahren Tatsachenkern beruht. Es bestehe ein herausragendes Interesse der Öffentlichkeit daran, dass solche Missstände im Bewertungssystem aufgedeckt werden.

Was lernen wir daraus für Unternehmen und Kunden?

  • Für Unternehmen: Seien Sie extrem vorsichtig, wenn Sie Bewertungen incentivieren! Einen Gutschein für jede Bewertung anzubieten (egal ob positiv oder negativ), mag noch angehen, wenn es transparent geschieht. Aber die Aufforderung, dies direkt vor Ort und unter den Augen der Mitarbeiter zu tun, ist heikel. Es erweckt den Anschein von Druck und kann die Glaubwürdigkeit aller Ihrer Bewertungen untergraben. Ehrliches Feedback ist wertvoller als erkaufte Sterne.
  • Für Kunden: Wenn Sie das Gefühl haben, dass ein Unternehmen versucht, Bewertungen unzulässig zu beeinflussen, dürfen Sie das (sachlich und wahrheitsgemäß) anprangern. Die Transparenz von Bewertungssystemen ist ein hohes Gut.

Noch ein Wort zu den Anwaltskosten

Das Umzugsunternehmen musste seine eigenen vorgerichtlichen Anwaltskosten tragen. Der Grund: Es hatte vom Kunden die Unterlassung aller Behauptungen gefordert. Da aber ein Teil der Bewertung (die Sache mit dem „Geld für die Bewertung“) zulässig war, war die Abmahnung des Unternehmens in diesem Punkt unberechtigt. Fordert man zu viel, kann man unter Umständen auf den eigenen Kosten sitzen bleiben. Das ist eine wichtige Lektion für alle, die Abmahnungen aussprechen: Präzision ist entscheidend!

Zusammenfassende Tipps für den Umgang mit Online-Bewertungen:

Für Bewerter (Kunden):

  1. Bleiben Sie bei der Wahrheit: Unterscheiden Sie klar zwischen belegbaren Fakten und Ihrer persönlichen Meinung.
  2. Dokumentieren Sie: Machen Sie Fotos von Mängeln, heben Sie E-Mails auf, notieren Sie sich Namen von Ansprechpartnern und Zeitpunkte von Gesprächen. Das kann im Streitfall Gold wert sein.
  3. Seien Sie sachlich: Auch wenn Sie verärgert sind – vermeiden Sie Beleidigungen, Schimpfwörter oder reine Schmähkritik. Das schwächt Ihre Position und kann rechtliche Konsequenzen haben.
  4. Denken Sie an die Beweislast: Bei negativen Tatsachenbehauptungen kann es sein, dass Sie beweisen müssen, dass diese stimmen, wenn das Unternehmen sie bestreitet.
  5. Melden Sie unlautere Praktiken: Wenn Unternehmen versuchen, Bewertungen zu manipulieren (z.B. durch Druck, versteckte Vorteile nur für positive Reviews), ist es oft legitim, dies öffentlich zu machen – aber auch hier: sachlich und wahrheitsgetreu.

Für Bewertete (Unternehmen):

  1. Monitoring ist Pflicht: Behalten Sie Ihre Online-Bewertungen im Auge.
  2. Professionell reagieren: Antworten Sie auf Bewertungen, insbesondere auf negative. Zeigen Sie Verständnis, bieten Sie Lösungen an. Oft lässt sich so ein Imageschaden begrenzen oder sogar ins Positive wenden.
  3. Unwahre Tatsachen nicht dulden: Enthält eine Bewertung nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen, die Ihr Unternehmen schädigen, können Sie dagegen vorgehen (Aufforderung zur Stellungnahme/Löschung an den Bewerter oder das Portal, ggf. rechtliche Schritte).
  4. Meinungen aushalten: Reine Meinungsäußerungen, auch wenn sie hart sind, müssen Sie meist hinnehmen, solange sie nicht die Grenze zur Schmähkritik oder falschen Tatsachenbehauptung überschreiten.
  5. Transparenz bei Incentives: Wenn Sie Anreize für Bewertungen schaffen, tun Sie dies offen und für alle Arten von Feedback, nicht nur für positive. Vermeiden Sie jeglichen Anschein von Druck.
  6. Das „Abnahmeprotokoll“ hilft, ist aber kein Allheilmittel: Wie der Fall zeigt, schützt auch ein unterschriebenes Protokoll nicht immer vor späteren negativen Behauptungen.

Fazit: Ein wichtiges Urteil für die digitale Welt

Das Urteil des LG Frankenthal ist ein weiterer Mosaikstein in der komplexen Rechtslandschaft der Online-Bewertungen. Es zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, die Spielregeln zu kennen – sowohl für diejenigen, die Bewertungen schreiben, als auch für diejenigen, die bewertet werden.

Die Macht von Online-Bewertungen ist unbestritten. Sie können Karrieren fördern oder Existenzen bedrohen. Gerade deshalb ist ein fairer und wahrheitsgemäßer Umgang damit so entscheidend. Dieses Urteil unterstreicht die Verantwortung des Bewerters für die Richtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen und mahnt Unternehmen zur Vorsicht beim Versuch, Bewertungsprozesse zu beeinflussen.

Wenn Sie selbst einmal in eine knifflige Situation rund um Online-Bewertungen geraten – sei es als Verfasser einer kritischen Rezension oder als betroffenes Unternehmen – zögern Sie nicht, fachkundigen Rat einzuholen. Die rechtlichen Fallstricke sind zahlreich, aber mit der richtigen Strategie lassen sich viele Probleme lösen.

Ich hoffe, diese Analyse hat Ihnen geholfen, die Bedeutung dieses Urteils besser zu verstehen und Sie für den Umgang mit Online-Bewertungen sensibilisiert. Denn in unserer vernetzten Welt ist ein guter Ruf – online wie offline – wertvoller denn je.

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